Page 116 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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A. Lehmann.
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       größte Reizstärke erhalten musste, um die Helligkeit des Vergleichs-
       lichtes zu erreichen.  Außerdem hat König  diese Thatsache durch
       eine besondere experimentelle Untersuchung  festgestellt  i).  Folglich
       muss der Steigungscoefficient für X = 470 kleiner sein, als für irgend
       eine andere Farbe, was eben aus den Berechnungen hervorgeht.  Es
       kann also keinem Zweifel unterhegen, dass die in Fig. 4 gezeichnete
       Curve  der  Steigungscoefficienten  für König 's Auge  jedenfalls  in
       Bezug auf die Lage des tiefsten Punktes richtig  ist, trotzdem dass
       sie nur  mittelst  einer annähernd richtigen Methode bestimmt wor-
       den \%it
          Das Resultat dieser Betrachtungen ist also, dass der wesentlichste
       Unterschied zwischen den beiden Curven der Fig. 4 wirklich von indi-
       viduellen Differenzen herrührt.  Dies ist nicht uninteressant,  weil es
       zeigt, wie groß die individuellen Verschiedenheiten zwischen Augen,
       die übrigens vollständig normalen Farbensinn besitzen,  sein können.
       König und ich können theilweise — aber auch nur theilweise — über
       die  Helligkeitsverhältnisse der Farben vom äußersten Roth  bis zu
       X = 510 einig werden, von diesem letzteren Punkte aus werden unsere
       Bestimmungen dagegen vollständig divergiren; was dem Einen am
       hellsten, wird dem Andern am dunkelsten erscheinen.  Es wäre nun
       ein höchst merkwürdiger Zufall, wenn König und ich gerade     die
       größten  Verschiedenheiten repräsentirten,  die  in  dieser Beziehung
       überhaupt vorkommen können;   die Consequenz  scheint also  die zu
       sein, dass es kaum zwei Menschen gibt, welche die Helligkeiten der
       Farben auf genau dieselbe Weise beurtheilen.  Vielleicht sind nicht
       einmal die beiden Augen desselben Individuums in dieser Beziehung
       gleich,  jedenfalls hat mein Hnkes Auge nicht immer die Helligkeits-
       gleichungen,  die ich mit dem rechten  festgestellt habe,  acceptiren
       wollen.  Ich habe deshalb bei derartigen Bestimmungen, die uns im
       Folgenden beschäftigen werden, immer das letztere benutzt.
          Wir gehen nun dazu über, die Gültigkeit des früher aufgestellten


          1) Die Abhängigkeit der Farben- und Helligkeitsgleichungen von der abso-
       luten Intensität.  Sitzungsber. d. Berl. Akad., 1897,  S. 880. Wenn König seine
       gleichwerthigen Spaltbreiten in isolucide Einheiten umgerechnet hätte, wie  es
       hier geschehen  ist, würde er diese  letztere Untersuchung gar nicht nöthig ge-
       habt haben. Man sieht ja unmittelbar aus Tabelle VTTT,  dass bei Ä = 470 ein
       "Wendepunkt liegt.
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