Page 151 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Einleitung in die allgem. Theorie d. Mannigfaltigkeiten v. Bewusstseinsinhalt^n. 139

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        Da   hierbei  die  empirisch  einfache  oder zusammengesetzte Be-
     schaffenheit der Bewusstseinsinhalte eine wesenthche Bedeutung er-
     langt,  so  ist  zunächst  festzustellen,  was  die einfachen und  die
     zusammengesetzten Bewusstseinsinhalte der Erfahrung   zufolge  sind
     und wodurch sie sich von einander unterscheiden.
        Jeder Bewusstseinsinhalt besteht gesondert von jedem anderen in
     unanfechtbarer Einheit und Selbständigkeit auf Grund des ihn dar-
     bietenden Aktes des erfassenden Denkens, zu dem sich nichts hinzu-
     fügen und von dem sich nichts wegnehmen     lässt.  Sofern  er aber
     als  der Träger zusammengehöriger Bestimmungen Gegenstand      der
     Untersuchung  ist, kann  er durch den Verein dieser Bestimmungen
     charakterisirt und mit Rücksicht auf dieselben als einfach oder zu-
     sammengesetzt bezeichnet werden.
        Es haben nänüich zwei Bewusstseinsiohalte Ä und B als gleich
     zu gelten, wenn dem einen und dem anderen jede der Beurtheilung
     zugängliche und in Betracht gezogene Bestimmung zukommt.     Trifft
     dies nicht zu,  so  sind  sie  als verschieden anzusehen.  Sind nun A
     und B in diesem Sinne verschieden, so  ist es möglich, dass zwar die
     Bestimmungen von B auch Ä zugehören, dass hingegen die Bestim-
     mungen von Ä nicht insgesammt mit denjenigen von B identisch sind.
     Der Verein der Bestimmungen von B ist in diesem Falle in dem Ver-
     ein  der Bestimmungen von Ä enthalten: Ä      ist  ein zusammen-
     gesetzter Bewusstseinsinhalt und B ist ein Bestandtheil von ^.
     Ebenso wie B sind auch die Bewusstseinsinhalte C^ D  .  .  . Bestand-

     theüe von -4, wenn die Vereine ihrer Bestimmungen, jeder für sich
     betrachtet, in J. vorliegen,  yi ist hingegen ein einfacher Bewusst-
     seinsinhalt, wenn kein anderer Bewusstseinsinhalt    in Erfahrung
     gebracht werden kann, dessen Bestimmungen vereint in den Bestim-
     mungen von A erfasst werden.
         Es  lässt  sich sonach nicht von vom herein bestinmien,  welche
     Bewusstseinsinhalte einfach und welche zusammengesetzt sind.  Denn
     ohne Rücksichtnahme auf die Erfahrung kann man nur sagen, dass
     jeder Bewusstseinsinhalt, möge er einfach oder zusammengesetzt sein,
     in einem   einheitHchen und  selbständigen Akte  des Erfassens  als
      Träger zusammengehöriger Bestimmungen gegeben wird.
         Auch kann   nicht im Gebiete der substanziellen Vorgänge,  die
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