Page 153 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 153

Einleitung in die allgem. Theorie d. Mannigfaltigkeiten v. Bewusstseinsinhalten. 141

        Die Intensität und die Qualität sind die zur Charakterisirung eines
     Bewusstseinsinhaltes nothwendigen und hinreichenden Bestimmungen.
     Sie sind nothwendig, weil das Erfassen sowohl ein bestimmtes Maß
     als auch eine bestimmte Form haben muss.  Die beiden Bestimmungen
     sind daher ihrem "Wesen nach untrennbar aneinander gebunden,    so
     dass von jeder einzelnen nur unter Abstraction von der anderen ge-
     redet werden kann.    Sie sind femer hinreichend, weil außer dem
     Maße und der Form des Erfassens     nichts weiter in dem Akte des
     erfassenden Denkens, der den Bewusstseinsinhalt darbietet, seine Aus-
     gestaltung finden kann.
        Dies hat zur Folge, dass jedes Urtheil, welches eine Aussage über
     die Existenz oder die Beziehungen eines Bewusstseinsinhaltes enthält,
     entweder auf die Intensität oder auf die Qualität oder auf beide Be-
     stimmungen zugleich sich gründen muss.   Wenn also zwei Bewusst-
     seinsinhalte Ä und B hinsichtlich der Intensität und Qualität  voll-
     kommen übereinstimmen, so gilt jedes Urtheil über Ä zugleich von B
     und in dem so bestimmten Sinne ist Ä gleich B.   Eine Verschieden-
     heit muss hingegen anerkannt werden,  falls nicht sowohl die Inten-
     sitäten als auch  die Qualitäten identisch  sind. Ä und B sind als-
     dann entweder intensiv verschieden und quaHtativ gleich oder intensiv
     gleich  und  qualitativ  verschieden  oder sowohl  intensiv  als auch
     qualitativ verschieden.
         Es fragt sich nun, in wiefern Ä zusammengesetzt und B ein Bestand-
     theil von Ä sein kann.
        Beachtet man bloß die Intensitäten unter Absehen von den Quali-
     täten, so ist klar, dass jede kleinere Intensität als Bestandtheil einer
     größeren  sich auffassen lässt, da die stärkere Bethätigung des Er-
     fassens die schwächere ohne weiteres in sich schließt.  Es kann daher,
     soweit die Intensitäten in Rücksicht kommen, B ein Bestandtheil von
     Ä sein, wenn die Intensität von B schwächer ist als diejenige von Ä.
     Bezüglich der Qualitäten lässt sich jedoch keine  solche allgemein-
     gültige Bedingung angeben.   Denn   die Weise des Erfassens kann
     nicht als solche, sondern nur durch den Hinweis auf   die Qualität,
     in der sie zu Tage tritt, charakterisirt werden.  Darum ist es nicht
     möglich, von vom herein anzugeben, ob und     in wie weit eine be-
     stimmte Weise des Erfassens eine andere in sich bergen könne.  Hier-
     über entscheidet lediglich die Erfahmng. Auf Grmnd der Erfahmng
   148   149   150   151   152   153   154   155   156   157   158