Page 48 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Ludwig Lange.
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niclit in einwandfreier Weise zu formuliren wusste. "Wer die nächsten
Seiten dieser Abhandlung aufmerksam durchliest, wird finden, dass
auch jener letzten begrifflichen Schwierigkeit des Beharrungsgesetzes
ohne große Umstände abzuhelfen ist.
Ehe ich jedoch zu diesen Erörterungen übergehe, möchte ich vor-
erst zu dem Einwand Kleinpeter's Stellung nehmen, dass meine
Definition des Inertialsystemes keine praktische Bestimmung der
dynamischen Bezugsaxen durchführbar mache, »die ja doch möglich
—
sein muss, wenn das Gresetz irgend welchen Werth haben soll«.
Die Definition des Inertialsystemes sollte so, wie ich sie gab, über-
haupt gar nicht der unmittelbaren praktischen Oonstruction
eines Inertialsystems dienen, sondern lediglich das methodologische
Prototyp aller praktischen Constructionen dynamischer Bezugssysteme
darstellen. In diesem Sinne habe ich an mehreren Orten von der
»idealen Oonstruction des Inertialsystemes« gesprochen und keinen
Zweifel darüber gelassen, dass die praktischen realen Oonstructionen
sich von jener Idealconstruction, wenn auch nicht methodologisch, so
Diese prak-
doch physikalisch betrachtet, erheblich unterscheiden '^j.
tischen Methoden, wie z. B. diejenigen, welche auf der Benutzung gyro-
skopischer Erscheinungen oder des Foucault'schen Pendels beruhen,
als eine durch die Verhältnisse ge-
stellen in der That nichts anderes ,
botene, mehr oder minder complicirte Ausgestaltung jenes Proto-
typ es dar, und sind logisch von genau demselben Gesichtspunkt
zu beurtheilen, wie zahlreiche andere praktische Ausgestaltungen
prototypisch einfacher Begriffe, die die mathematischen und
physikalischen Disciplinen aufweisen. Der Begriff der geraden Linie
wird z. B. praktisch ausgestaltet durch das Lineal; und gerade dieses
Analogon ist überaus lehrreich für unseren Fall, wie die nach-
folgende Erwägung zeigt. Wiewohl die Theorie des Inertialsystemes
den mathematisch und erkenntnisstheoretisch werthvoUen Nachweis
erbringt, dass im Princip drei materielle Punkte zur näheren
Bestimmung des der Dynamik zu Orunde zu legenden starren Raumes
nothwendig und hinreichend sind, so wird man bei allen praktischen
Ausgestaltungen der Theorie mehr als drei materielle Punkte brau-
chen; genau so, wie das Lineal einer großen Menge von Materie
um die darzustellende Gerade herum bedarf, um überhaupt möglich
zu sein. Das Inertialsystem wird daher natürlich von dem nämhchen