Page 50 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 50
Ludwig Lange.
3g
in einer und derselben Ebene. Dass dieser Nachweis gelungen ist,
und zwar unabhängig von der Bedingung des ünbeeinflusstseins der
Punkte, überhaupt ohne jede dynamische Voraussetzung, daran
zweifelt schwerlich irgend ein Mathematiker. Aus dieser Wurzel aber
ergibt sich nun der Kern der weiteren Darstellung in folgendem
Sinne: Der einzige, einer klaren Vorstellung zugängliche Inhalt des
Beharrungsgesetzes ist der, dass für »sich selbst überlassene
Punkte« jener singulare Fall zutrifft.
Da nun, wohlgemerkt, erst bei dieser Aussage der Kraftbegriff
in die Betrachtung eingeführt wird, so treffen die Schwierigkeiten,
die, wie Jedermann zugibt, der einwandfreien Definition des Kraft-
begriffes anhaften, lediglich den materiellen dynamischen Inhalt
des Beharrungsgesetzes selbst; sie berühren aber nicht im geringsten
den phoronomisch geführten Nachweis, dass dieser Inhalt mit einer
Partialconvention auf Grund dreier Fundamentalpunkte zutreffend
und erschöpfend wiedergegeben wird.
Man ersieht, beiläufig bemerkt, aus der nicht allzu scharf präci-
sirten Form des gemachten Einwandes deutlich, dass die seit Kant,
Wronski und Ampere allgemein betonte Nothwendigkeit, zwischen
Phoronomie und Dynamik zu unterscheiden, noch nicht in ihrer
vollen Bedeutung beachtet worden ist. Es mag auch sein, dass der
von den Absolutisten gemachte Versuch, die Nothwendigkeit eben
dieser Unterscheidung für das Dogma der »absoluten Bewegung«
auszubeuten, gerade die consequenten Belativisten vielfach verleitet,
die Grenzlinie zu übersehen. Dass sich die Unterscheidung zwischen
Phoronomie und Dynamik gleichwohl auch mit dem consequentesten
Relativismus verträgt, braucht hier kaum nachgewiesen zu werden.
In den vorstehenden Ausführungen ist andeutungsweise bereits das
Zugeständniss enthalten, dass die s. Z. von mir vorgeschlagene Fas-
sung des Beharrungsgesetzes in der Form noch nicht den höchsten
erreichbaren Grad der -Klarheit und Einwandfreiheit aufweist. Ich
ziehe heutigentags eine etwas andere Formulirung des Gesetzes vor,
in der die theoretische Idealconstruction des Inertialsystems nicht
mehr die grundlegende Definition, sondern nur mehr ein CoroUarium
derselben bildet. Während nämlich der Ausspruch des Gesetzes, oder
richtiger gesagt, derjenige seines räumhchen Theiles, einfach auf die
Annahme der phoronomischen Möglichkeit eines Systems gerad-