Page 277 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          6.12  •  Ein Übungsfall


          Frage 2:
          Zu prüfen ist, ob das betroffene französische Gesetz unionsrechts-
          widrig ist, genauer, ob es gegen Art. 56/57 AEUV verstößt.
          Dazu müsste Van der Elst grenzüberschreitend eine Dienstleis-  Grenzüberschreitende Dienst-
          tung erbringen, die entgeltlich und zeitlich beschränkt ist. Die   leistung
          Arbeiter der Firma begeben sich zur Leistungserbringung in einen
          anderen Mitgliedstaat, Art. 57 III AEUV. Die Firma arbeitet entgelt-
          lich und nur für die Dauer der Renovierung des „Château Lanson“.
          Zwar arbeitet Van der Elst nicht persönlich, jedoch erstreckt sich
          die Freiheit des Art. 49 auf die Eliminierung aller Beschränkun-
          gen, die geeignet sind, eine grenzüberschreitende Dienstleistung
          zu hemmen. Dabei kommt es auf die persönliche Dienstleistung
          nicht an, die Freiheit gilt für das ganze Unternehmen mit dienst-
          leistender Tätigkeit (Säger, Slg. 1991, I-4221).
         Weiterhin müsste eine Diskriminierung vorliegen. Die Tätigkeit   Diskriminierung / Behinderung
          Van der Elsts ist insofern behindert, als dass die französischen Be-
          hörden von den marokkanischen Arbeitern Arbeitserlaubnisse,
          Sozialabgaben  und Gesundheitszeugnisse verlangen. Folglich
          müssen die Arbeiter, die ja bereits in Belgien ordnungsgemäße
          Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen haben und an der So-
          zialversicherung teilnehmen, all diese Voraussetzungen für ihre
          Tätigkeit doppelt erfüllen. Daher liegt eine Diskriminierung vor,
          die Van der Elst mittelbar betrifft.
          Unter dem Gesichtspunkt der strengeren Anforderungen der
          Niederlassungsfreiheit stehen Frankreich keine Rechte zu, denn
          die Arbeitertätigkeit ist eindeutig zeitlich begrenzt, die Arbeiter
          wollen sich nicht niederlassen.
          Fraglich ist, ob sich eine Berechtigung für die Einschränkung   van Wesemael Formel
          der Dienstleistungsfreiheit in diesem Fall ergibt. Dies ist nach
          der „van Wesemael“-Formel  (kumulativ  drei Voraussetzungen
          zur Rechtfertigung) des EuGH (Slg. 1979, 35), abgesehen von
          -   wenn zwingende Gründe des Allgemeinwohls vorliegen (die
          Art. 62 AEUV nur dann zulässig,
            nicht schon vom Heimatstaat des Dienstleistungserbringers
          -   die einschränkenden Regelungen für aus- und inländische
            normativ gewahrt werden),
          -   und die Einschränkungen verhältnismäßig im engeren Sinn,
            Dienstleistungserbringer gelten

            das bedeutet, angemessen, sind.
          Zu untersuchen ist, ob zwingende Gründe des Allgemeinwohls   Zwingende Gründe des Allge-
          gegeben sind. Als ein solcher Grund kommt hier der Schutz des   meinwohls
          französischen Arbeitsmarktes vor Dienstleistungen aus anderen
          Mitgliedstaaten zu Dumpingpreisen in Frage.
          Laut EuGH sei dieser Grund schon nicht gegeben, weil die vier
          Marokkaner nicht auf den französischen Arbeitsmarkt drängen
          würden, sondern nur temporär eine Dienstleistung erbracht
          werde. Diese Argumentation ist allerdings angreifbar, denn die
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