Page 281 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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276  Kapitel 7  •  Vom Grundgesetz zum Europarecht

                                  7.1   Grundgesetz und Europa


                                  Entscheidend für die Frage, wie Europarecht und Grundgesetz
   2                              (GG) zusammenhängen, ist der völkerrechtliche Charakter des
                                  Europarechts. Alle europäischen Organisationen beruhen auf
                                  völkerrechtlichen Verträgen zwischen den jeweiligen Mitglied-
                                  staaten, beispielsweise EU, EURATOM, Europarat, NATO usw.
                                  Auch wenn es manchmal so scheint, als ob diese internationa-
                                  len, völkerrechtlichen Verträge und das internationale, zwi-
                                  schen Staaten geltende Recht überhaupt mehr oder weniger in
                                  der Luft schweben, so haben sie doch ganz konkrete rechtliche
                                  Befestigungspunkte im GG. Die Rechtsbeziehungen zwischen
                                  Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten, wie etwa Interna-
                                  tionalen Organisationen, bestimmen sich grundsätzlich nach
                                  dem Völkerrecht; bei der EU wird das Völkerrecht allerdings
   7                              größtenteils überlagert vom spezielleren Unionsrecht (zum
                                  Völkerrecht s. Lorenzmeier, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016).
          Entscheidende Vorschrift:   Das Rechtsverhältnis zwischen der Bundesrepublik
          Art. 23 GG              Deutschland und der Europäischen Union wird seit Ende 1992
                                  durch Art. 23 GG ausgestaltet, der bis dahin den Beitritt ande-
                                  rer Teile Deutschlands zur Bundesrepublik regelte, was nach
                                  dem Beitritt der fünf neuen Bundesländer obsolet wurde. Bei
                                  der Formulierung des neuen Art. 23 GG ging die gemeinsame
                                  Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat davon
   2                              aus, dass der (damals neue) Maastrichter Unionsvertrag eine
                                  so weitgehende Integration der Bundesrepublik mit sich brin-
                                  gen würde, dass dies nicht mehr durch Art. 24 I GG gedeckt
   2                              wäre. Art. 24 I GG verlangt für die Hoheitsrechtsübertragung
                                  ein einfaches Bundesgesetz (siehe Lorenzmeier, Völkerrecht,
   2                              3. Aufl. 2016, Abschn. 5.6.3).
          Übertragung von Hoheits-   Mit der sich vertiefenden Integration ging jedoch eine
   2      rechten                 so umfangreiche Übertragung von Hoheitsrechten an die
                                  EU einher, dass die Begründung der Union und die weitere
                                  Kompetenzübertragung einer eigenen, breiteren Grundlage
   2                              im Grundgesetz bedurften. Diese Grundlage stellt seitdem
                                  Art. 23 GG dar, der für die europäische Integration und deren
   2                              Fortgang geschaffen wurde (BVerfGE 89, 155/172).
                                     Der Artikeltext ist das Ergebnis eines politischen Kom-
                                  promisses und sehr umfangreich geworden. Am besten liest
   2                              man die sieben Absätze nicht alle sofort nacheinander, son-
                                  dern jeden Absatz mehrmals hintereinander und dann erst den
   2                              nächsten. So vermeidet man, dass sich die Absätze gedanklich
                                  miteinander vermischen.
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