Page 286 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          7.1  •  Grundgesetz und Europa


          alle Staatsgewalt von den Ländern aus (vgl. Art. 30 GG). In
          einigen Sachmaterien, die innerstaatlich in den Kompetenz-
          bereich der Länder fallen, wurde jedoch in den Verträgen eine
          Regelungskompetenz für die Union geschaffen. Durch das in
          Art. 4 III AEUV enthaltene Prinzip des Vorrangs des Unions-
          rechts (▶ Abschn. 4.2) besteht somit die Gefahr der praktischen
          Aushöhlung der innerstaatlich gewährleisteten Länderkompe-
          tenzen. Im Bereich konkurrierender Kompetenzen könnten
          die Länder bei Bestehen unionsrechtlicher Rechtsakte keine
          eigenen, die gleiche Sachmaterie regelnden Vorschriften mehr
          erlassen. Konkurrierende Zuständigkeit heißt, dass zwei un-
          terschiedliche Ebenen gleichrangig zum Erlass einer Rechts-
          vorschrift berechtigt sind, die untere Ebene aber im Falle des
          Tätigwerdens der höheren nicht mehr tätig werden darf. Im
          Bereich ausschließlicher Gesetzgebungsbefugnisse  der  EU
          wäre dies von vornherein ausgeschlossen. Zum anderen be-
          steht die Gefahr, da laut Art. 16 II EUV nur ein Vertreter auf
          Ministerebene den betreffenden Mitgliedstaat im Rat vertritt,
          die Interessen des Bundestages als Kontrollorgan der Regie-
          rung und Legislativorgan des Bundes auf unionsrechtlicher
          Ebene nicht beachtet werden und somit ein Verstoß gegen das
          in Art. 20 GG niedergelegte Demokratiegebot vorliegen würde.
            Den geschilderten Gefahren sollen die Absätze 2 bis 6 ent-  Zweck der Regelungen des
          gegenwirken. Nach Absatz 2 wirken in Angelegenheiten der   Art. 23 Abs. IV-VI GG: Ausgleich
          Europäischen Union der Bundestag und über den Bundesrat   für Kompetenzverluste, die
          die Länder mit.                                   den Ländern durch die „bun-
            Der VvL stärkt die Rechte der nationalen Parlamente, in-  desstaatsblinde“ Rechtsetzung
          dem er ihnen im Parlamentsprotokoll (ABl. 2007 C 308/148)   der Europäischen Union
          und  im  Subsidiaritätsprotokoll  (ABl.  2007 C  308/150),  die   entstehen
          beide gemäß Art. 51 EUV Bestandteil des EUV sind, direkte
          Mitwirkungsrechte gegenüber den Organen der EU einräumt.   Mitwirkung von Bundestag
          Nationale Parlamente sind in Deutschland die gesetzgeben-   und Bundesrat
          den Körperschaften Bundestag und Bundesrat. Zur Wahrneh-
          mung der Rechte wurde das „Gesetz über die Wahrnehmung
          der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bun-
          desrates in Angelegenheiten der Europäischen Union“ (BGBl.
          2009 I, 3822) beschlossen. Daneben besteht zum einen das
          „Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und
          deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen
          Union“ (BGBl. 1993 I, 311) und zum anderen das „Gesetz über
          die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenhei-
          ten der Europäischen Union“ (BGBl. 1993 I, 313).
            Hinsichtlich des Tätigwerdens des Bundestages ist Absatz 3   Bundestag
          die entscheidende Vorschrift. Dabei sind die Stellungnahmen   Integrationsverantwortungs-
          des Bundestages zu Rechtsetzungsakten der Europäischen            gesetz
          Union seitens der Bundesregierung zu berücksichtigen. Der
          Begriff „berücksichtigen“ wird in dem gemäß Art. 23 II 3 GG
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