Page 283 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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278 Kapitel 7 • Vom Grundgesetz zum Europarecht
(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefug-
nisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der
Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung
2 der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat
der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom
Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen. Die Wahr-
nehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstim-
mung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche
Verantwortung des Bundes zu wahren.
(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der
Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Art. 23 GG verlangt sowohl für die Zustimmung des Parla-
ments zum Abschluss des Unionsvertrages wie für spätere
Kompetenzübertragungen eine Zweidrittelmehrheit sowohl
7 im Bundestag als auch im Bundesrat, siehe Art. 23 I, 79 II GG.
Verfassungsrechtliche Voraus- Innerhalb seines Anwendungsbereiches ist Art. 23 I 2 GG
setzungen der Integration lex specialis zu Art. 24 I und 32 GG. Darüber hinaus enthält
Staatszielbestimmung Art. 23 I GG eine Staatszielbestimmung und einen rechtlich
verbindlichen Auftrag zur Verwirklichung eines vereinten
Europas. Staatszielbestimmung bedeutet, dass der Staat bei
seinem Handeln allgemein verpflichtet ist, die Einigung vo-
ranzutreiben.
Rechtliche Integrations- Jedoch unterliegt die Integration in ein vereintes Europa
2 schranken verschiedenen Beschränkungen. Die Schranken ergeben sich
aus den in Art. 23 I 1 und I 3 GG in Verbindung mit Art. 79 III
GG genannten Bedingungen (Schutz der verfassungsrechtli-
2 chen Identität). Der Verweis auf die Vorschrift des Art. 79 II
GG regelt nur die notwendigen Mehrheitsverhältnisse und
2 stellt keine inhaltliche (materielle) Begrenzung dar.
Übertragung von Hoheits- Zuerst zu Art. 23 I 2 GG, der dem Bund die Befugnis
2 rechten zur Übertragung von Hoheitsrechten gewährt. Der Begriff
„Hoheitsrechte“ ist weit zu verstehen und umfasst die Aus-
übung öffentlicher Gewalt im innerstaatlichen Bereich durch
2 alle drei Staatsgewalten. Aus der systematischen Gesamtschau
mit Art. 23 V 2, VI 1 GG ergibt sich, dass auch die Hoheits-
2 rechte der Länder mitumfasst sind. Übertragung bedeutet
die Weitergabe und Öffnung der deutschen Rechtsordnung
für unionsrechtliche Rechtsakte, so dass diesen unmittelbare
2 Geltung und Anwendbarkeit in der deutschen Rechtsordnung
zukommen kann (vgl. BVerfGE 37, 271/279). Das erwähnte
2 innerstaatliche Gesetz muss ein Bundesgesetz sein, Art. 23
I 2 GG. Für die formelle Rechtmäßigkeit dieses Gesetzes ist
Art. 23 I 3 i. V. m. Art. 79 II GG zu beachten, die sog. ver-
2 fassungsändernde Mehrheit ist dafür erforderlich. Die Vor-
schrift erfasst jede textliche Veränderung des europäischen
Primärrechts.