Page 288 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          7.1  •  Grundgesetz und Europa


          und dem BR ein Letztentscheidungsrecht zukommt. Dies über-
          zeugt aufgrund des engeren Wortlautes von Art. 23 V 2 GG
          nicht, der nur von „maßgeblich berücksichtigen“ spricht. Der
          Wortlaut ist die absolute Grenze jedweder Auslegung. Insoweit
          ist § 5 II 5 verfassungskonform und einschränkend auszulegen,
          da er ansonsten mit der Vorschrift des Art. 23 V 2 GG nicht
          vereinbar wäre. Unter „maßgeblicher Berücksichtigung“ ist
          nach hier vertretener Ansicht nur zu verstehen, dass sich die
          BReg. im Rat der EU für den Standpunkt des BR einsetzen
          muss, von diesem aber bei Vorliegen zwingender Erwägungen,
          wie dem Nichtzustandekommen eines erforderlichen Kompro-
          misses oder bei Gefahr des Überstimmtwerdens, abweichen
          darf. Die Abweichung ist, falls es die konkreten Umstände er-
          lauben, erst nach vorheriger Rücksprache mit dem BR vorzu-
          nehmen (ähnlich BVerfGE 92, 203 ff.).
            Wichtig ist auch noch die Vorschrift des Art. 23 VI GG,   Art. 23 VI GG und Art. 23 V 2 GG
          die von Art. 23 V 2 GG zu unterscheiden ist, die die Vertre-  sind strikt zu trennen.
          tung der Bundesrepublik im Rat der EU regelt. Bei den dorti-
          gen Abstimmungen soll ein vom BR ernannter Vertreter der
          Länder anwesend sein, wenn im Schwerpunkt ausschließliche
          Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. Zu den
          „ausschließlichen Kompetenzen“ (s. Art. 70 GG) gehören z. B.
          die Polizei oder das Kultuswesen. „Soll wahrgenommen wer-
          den“ bedeutet, dass die Wahrnehmung in der Regel durch den
          Ländervertreter vorzunehmen ist. Ausnahmefälle bedürfen
          besonderer Begründung. Das nähere wird in § 6 des oben ge-
          nannten Gesetzes geregelt. Daneben gilt für die Länder eben-
          falls das IntVG.
            Zusätzlich ist nach Art. 23 V 3 und VI 2 GG die gesamt-
          staatliche Verantwortung des Bundes durch den BR in seiner
          Stellungnahme bzw. seiner Rechtewahrnehmung zu wahren.
            Die Beteiligungsrechte des BR sind nur innerstaatlich rele-
          vant, die Gültigkeit von Rechtsakten der EU wird durch einen
          etwaigen Verstoß nicht berührt. Bei einem Verstoß kann der
          BR seine Rechte laut Art. 93 I Nr. 1 (Organstreitverfahren) und
          I Nr. 3 (Bund-Länder-Streit) GG verfolgen.
            Die Integration der Bundesrepublik in die Europäische   Wichtig: Grenzen der Inte-
          Union unterliegt verfassungsrechtlichen Grenzen, solange die     gration
          die EU kein Bundesstaat sondern nur ein Staatenverbund ist.
          Ein Staatenverbund ist eine enge, auf Dauer angelegte Ver-
          bindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher
          Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung
          jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und
          in der die Völker – das heißt, die staatsangehörigen Bürger –
          der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation
          bleiben (BVerfG, Vertrag von Lissabon). Die EU darf keine
          Rechtsakte erlassen, die gegen die verfassungsrechtliche Identi-
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