Page 292 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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7.1 • Grundgesetz und Europa
Brüssel den Bundeswirtschaftsminister mit der Maßgabe zu ent-
senden, der Richtlinie zuzustimmen.
Der Bundesrat ist der Ansicht, auf deutscher Seite hätte bei der
Sitzung des Rates angesichts der Rundfunkhoheit der Länder kei-
nesfalls ein Vertreter des Bundes handeln dürfen. Hinzu komme,
dass sich der Bundesrat vor der Ratssitzung einhellig gegen eine
deutsche Zustimmung zu der fraglichen Richtlinie ausgesprochen
habe, da diese nur ein weiteres unnötiges Beispiel europäischer
Regulierungswut darstelle. Hierüber hätte sich die Bundesregie-
rung angesichts der betroffenen Regierungsmaterie nicht hin-
wegsetzen dürfen. Die Bundesregierung entgegnet, es sei keines-
wegs die Rundfunkhoheit der Länder berührt, vielmehr befasse
sich die Richtlinie durch Harmonisierung der Werbezeiten allein
mit Problemen der Werbewirtschaft. Die ablehnende Stellung-
nahme des Bundesrats habe sie zwar zur Kenntnis genommen,
im Hinblick auf ihre integrationspolitische Verantwortung habe
sie sich aber nicht in der Lage gesehen, dem Anliegen Rechnung
zu tragen. Ohnedies wäre die Richtlinie auch im Falle einer deut-
schen Gegenstimme mit der Stimmenmehrheit der anderen EU-
Mitgliedstaaten wirksam zustande gekommen.
In der Kabinettsitzung ist auch die Beraterin D des Außenministers
zugegen. Sie flüstert ihrem Chef ins Ohr, diese Verfahrensweise
der Regierung, insbesondere die Entsendung des Wirtschaftsmi-
nisters, sei nicht mit dem GG vereinbar und somit rechtswidrig.
Hat sie Recht?
Fraglich ist, ob die Bundesregierung rechtswidrig gehandelt hat. Bei der Bearbeitung ist davon
Da der Sachverhalt von dem Verfahren zur Mitarbeit der Bundes- auszugehen, dass die Richtlinie
republik im Ministerrat handelt, ist zu prüfen, ob dieses Verfah- in europarechtlicher Hinsicht
ren dem Grundgesetz entsprochen hat. Das ist der Fall, wenn die keinen Bedenken begegnet.
Voraussetzungen von Art. 23 V 2, VI GG eingehalten worden sind.
A. Zuständigkeit der Bundesregierung zur Stimmabgabe
Fraglich ist, ob die Bundesregierung zur Stimmabgabe berechtigt
war. Die Nichtübertragung der EU-Mitwirkungsrechte an einen
Vertreter des Bundesrates stellt möglicherweise einen Verstoß
gegen Art. 23 VI GG dar.
I. Ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder
Dann müssten im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungs-
befugnisse der Länder betroffen sein, Art. 23 VI 1 GG. Das ist der
Bereich von Materien, für den keine Zuständigkeit des Bundes
nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung gegeben ist. Zu
prüfen ist daher die innerstaatliche Kompetenzverteilung nach
Art. 70 ff. GG in Bezug auf die Regelungsmaterie der Richtlinie.
1. Ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit, Art. 73 Nr. 7 GG
Die Regelungsmaterie der Richtlinie (Fernsehwerbung) könnte
die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus
Art. 73 Nr. 7 GG betreffen. Danach hat der Bund die ausschließli-
che Gesetzgebungszuständigkeit für das Postwesen und die Te-