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Es  war  im  Erntemonat  1822  als  ich  mein  El-
                       ternhaus  verließ.  Insekten  schwirrten,  summ-
                       ten und brummten im warmen Sonnenschein.

                       Golden  stand  das  Korn  mit  prallen  Ähren  auf
                       allen Feldern, soweit das Auge reicht und der

                       wolkenlose Himmel versprach bis zum Einbrin-
                       gen der Ernte so zu bleiben. Auch unsere sieb-
                       zehn  Morgen  sahen  prächtig  aus,  kein  Un-

                       wetter  hatte  die  Halme  gelegt  und  die  Ähren
                       waren nicht von dem Pilz befallen wie im letz-
                       tem, so unseligen, Jahr. Es begann zu trocken

                       und  dann  regnete  es  vom  August  bis  in  den
                       Dezember.  Der darauf folgende Winter wurde
                       kalt  und  lang,  Essen  und  Holz  waren  knapp.

                       Wir  froren,  der  Hunger  zehrte  an  uns  und
                       nahm im Januar zwei meiner Geschwister. Die

                       beiden jüngsten. Carl Peter und Elisabeth. Aus
                       dem Osten durchziehende verlumpte Soldaten
                       raubten  unsere  letzten  Hühner  und  zogen

                       gottseidank ohne weitere Willkür weiter. Bald
                       danach wurde die Mutter krank und starb am
                       Faulfieber.  „Soldatenpest“,  sagte  Vater  und

                       verfluchte  den  Krieg  im  Allgemeinen  und  die
                       Franzosen  ganz  besonders.  Wir  schafften  es
                       gerade noch gemeinsam die Felder zu bestel-



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