Page 466 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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       züglich für die Weiterentwicklung und Umgestaltung der Culturgüter
       sind diese Motive von der größten Bedeutung,  sofern  sie einen ein-
       mal, wenn auch aus minderwerthigeren Motiven geschaffenen That-
       bestand nachträglich durchdringen und seine Weiterentwicklung her-
       vorrufen können. Auf dem Gebiet des sittlichen Lebens hat Wundt
       diesen Process  als Verschiebung  der Motive  bezeichnet und näher
       beleuchtet.  Die Blutrache wird  z. B. auf diesem Wege aus einem
       Geschöpf  der  blinden Rachsucht  zu  einem bewussten Mittel, das
       Leben zu sichern; die Gastfreundschaft aus einer Ausgeburt egoisti-
       schen Aberglaubens zu einem Ausdruck humaner Regungen u. s. w.
       Zweitens ist ein innerer Werth einzelnen Culturgütern von Haus aus
       immanent.  Insbesondere gilt das für das Gebiet des sittlichen Lebens.
       Zunächst besitzen hier  alle Gebote, unabhängig von ihrem Inhalt,
       den großen formalen Werth den Eigenwillen zu bändigen und      zu
       brechen; insbesondere den so überaus zahlreichen religiösen Geboten
       der niederen Völker hat man, ungeachtet ihres oft sq absurden Cha-
       rakters, schon immer mit Recht diesen Nutzen nachgerühmt.   Aber
       auch sachlich muss man den Satzungen, Geboten und Sitten eines
       Stammes, indem man darin dem Ideenkreis des Utilitarismus beistimmt,
       nachsagen, dass wenigstens ein großer Theil von ihnen dem Nutzen
       der Gesammtheit entspricht, in diesem Sinne  also  einen  ethischen
       Werth besitzt.
          Trotz  dieser Gegeninstanzen  liegt  aber, wie  gesagt,  der wahre
       Sachverhalt dem conventionalistischen Extrem näher als dem ideali-
       stischen.  Der Eindruck, den wir von den Grundlagen der Cultur
       und deren gesammtem Charakter durch unsere Betrachtung erhalten
       haben, ist ein vorwiegend pessimistischer.  Die Wirksamkeit der Ge-
       sammtheit der von uns erörterten Factoren kann man angesichts der
       Sicherheit, mit der  sie dem Einzelnen völlig unbewusst und  völlig
       unabhängig von seiner Willkür functioniren, mit einem Mechanismus
       vergleichen; und  sie stimmt mit einem solchen auch darin überein,
       dass sie, wie jeder Mechanismus, blind ist, d. h. ihren Stoff unabhängig
       von dessen Werth verarbeitet. Man könnte diesen Mechanismus auch
       als einen überpräcisen bezeichnen, sofern er,  teleologisch betrachtet,
       oft über  sein Ziel hinausschießt; denn er widersetzt  sich vielfach,
       wie  wir  sahen,  auch  der Umwandlung  der  bestehenden und  der
       Schaffung neuer  Culturgüter.  Seine Zweckmäßigkeit   ist  oft  rein
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