Page 461 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Gründe für die Erhaltung der Cultur.
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dieser Verschiebung ist offenbar das Selbstgefühl, welches sich gegen
den Gedanken des planlosen und unüberlegten Handelns sträubt.
Bei der Erhaltung der Culturformen kommt es in derselben Weise
für viele praktische Culturgüter, insbesondere für die Formen
der Sitte und des Rechtes, für die Berufsthätigkeit sowie für die
staatlichen Institutionen und Maßregeln in Betracht. Auch hier
sträubt das Selbstgefühl sich gegen die Vorstellung, ohne rationelle Be-
gründung sich in den herkömmlichen Geleisen in ebenso mechanischer
Weise zu bewegen wie ein Pferd, das im Kreise zu gehen gezwungen
ist. Dass die ethischen, rehgiösen und metaphysischen Werthurtheile,
der Glaube an den Werth der sittlichen Normen und an die Wahr-
heit einer übersinnlichen Welt ebenfalls zum Theil dem Selbstgefühl
entspringt, ist klar. Es handelt sich dabei, könnte man auch sagen,
um eine Art Projection des Ichs, welches die Ueberzeugung seines
eigenen Werthes, den Wunsch seines eigenen Beharrens auf die um-
gebende Lebensordnung und das Weltganze überträgt, sodass man
auf diese Erscheinung auch den vorhin erörterten Gesichtspunkt des
Analogieverfahrens anwenden könnte. Für die Neigung, den Sitten,
Umgangs- und Lebensformen, die unser tägliches Thun und Treiben
regeln, einen eigenen Werth beizulegen, kommt dieses Selbstgefühl
vorzüglich in Verbindung mit der oben erörterten Wirkung der Denk-
gewohnheit in Betracht ; erscheint nämlich jener Rahmen erst einmal
als nothwendig, als gar nicht anders zu denken, so erweckt das Selbst-
gefühl nachträglich das Verlangen diese Nothwendigkeit als eine
sinn- und werthvoUe aufzufassen.
Von denjenigen emotionalen Gründen, welche aus der Wirkung
der Außenwelt auf das Individuum entspringen, haben wir bereits
zwei im ersten Theile namhaft gemacht, nämlich die Gefühlswirkung
und die Wirkung der Suggestion (s. oben Nr. 6 u. 9). Beide wirken
ja dahin, dass uns die thatsächlichen Formen der menschhchen Cultur
als werthvoU erscheinen. Als eine weitere Ursache derselben Art
kommt die allgemeine Thatsache der Voreingenommenheit und
der Disposition in Betracht, deren Grund stets ein emotionaler ist.
Wie sehr beide Wahrnehmung, Erinnerung und Deutung der That-
sachen verfälschen, ist bekannt. In diesem Sinne wirken zunächst
Partei- und Standesinteressen; femer wirkt im Gewerbe, in den
Berufsarten ähnlich die Rücksicht theils auf das Publikum, theils
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