Page 462 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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      auf die Vorgesetzten.  Herbert Spencer hat in seiner »Einleitung
      in das Studium der Sociologie« diese "Wirkung der Voreingenommen-
      heit so ausführlich geschildert, dass wir uns damit begnügen, auf ihn
      zu verweisen.  Wir entlehnen ihm nur noch ein Beispiel.  Die That-
       sache, dass durchschnittlich die Verheiratheten eine längere Lebens-
      dauer als die Unverheiratheten haben, wird gern als ein Beweis für
      die vortheilhaften Wirkungen der Ehe hingestellt.  Thatsächlich liegt
      dabei eine Verwechslung von Wirkung und Ursache oder vielmehr
      eine Verwechslung der Ursache mit dem Auftreten von zwei Parallel-
      wirkungen  vor,  insofern  eine bessere G-esundheit sowohl  die Ehe-
      schließung  vde  die Lebensdauer  begünstigt.  Aber  die allgemeine
      Ueberzeugung vom Werth     der Ehe   disponirt hier von Anfang zu
      einer derartigen Deutung der Thatsachen.  Man könnte dabei auch
      wieder an eine Wirkung des Selbstgefühls denken, wie ja überhaupt
      die verschiedenen Factoren  sich nicht streng sondern lassen. — Als
      einen besonderen Grrund jener Voreingenommenheit, welche uns den
      festen Rahmen unseres Lebens von vornherein als werthvoU erscheinen
      lässt,  führen  wir  hier weiter noch  eine Thatsache  an,  die man
      als Abfindung durch  die  Sitte bezeichnen  könnte.  Die Ausübung
      mancher Sitten  fasst  nämlich  das populäre Denken gleichsam  als
      ebenso  viele  hinreichende Befriedigungen für entsprechende Forde-
      rungen des Gewissens   auf.  Die Einehe zum Beispiel  gilt  als hin-
      reichende Erfüllung der Forderung der sexuellen Reinheit,  gewisse
      Arten und Veranstaltungen der Wohlthätigkeit als hinreichende Er-
      füllung der Gebote  der Humanität,  gewisse Arten  der öffentlichen
      Anerkennung oder Ehrung etwa     als hinreichender Ausweis für die
      Trefflichkeit der Lebensführung des betreffenden Individuums u.  s. w.
      Indem   in allen diesen Fällen der Mensch sich vor seinem eigenen
       Gewissen als gerechtfertigt erfindet, erscheinen ihm auch die bestehen-
      den Institutionen und Zustände überhaupt    als  den  sittlichen An-
      forderungen genügend.  Der ganze Eahmen und Hintergi'und unseres
      Lebens erscheint so gegenüber allen etwaigen Kritiken,  die an ihm
      rütteln wollen, als von unwiderleglicher Zweckmäßigkeit und Gediegen-
      heit und  dieses allgemeine Gefühl  schafft offenbar einen Boden für
       alle Anschauungen,  welche nun   auch den  einzelnen  Culturgütern
       einen besonderen Werth zuschreiben. — Endlich erwähnen wir    als
       letztes  Beispiel  für  die Wirkungen  der Voreingenommenheit  die
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