Page 460 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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       Wirksamkeit der Analogie in Betracht.  Wir erläutern sie zunächst
       an den Yerirrungen des Intellectualismus , welche bekannthch darin
       bestehen,  dass man das Zweckbewusstsein und den Grad der Be-
       rechnung im menschhchen Handeln überschätzt,   oder dass man die
       Ergebnisse der  eigenen Eeflexion  in  ein Handeln und Benehmen
       hineinträgt, welches analoge Wirkungen, aber nicht analoge Ursachen
       hat ^).  Diese üebertragung entspringt vorzügHch dem Umstand, dass
       im allgemeinen diejenigen Bewusstseinsprocesse,  welche  mit einem
       größeren Aufwand von Ueberlegung ablaufen, dem Menschen gleich-
       sam am   meisten  in  die Augen  fallen.  Sie erscheinen ihm daher
       leicht als die einzige Art des Benehmens und Handelns und werden
       demgemäß zur Erklärung    aller anderen Processe  verwendet.  Auf
       derselben Analogie  beruht  es  offenbar zum großen Theile, wenn
       so viele feste Formen im Bereiche der Berufsarten, insbesondere der
       gewerblichen und technischen,  wie auch so  viele Institutionen und
       Maßregeln  der Eegierung und Verwaltung    als  Ergebnisse  zweck-
       mäßiger Reflexion und zweckbewusster Thätigkeit hingestellt werden
       der Schluss von gewissen Erscheinungen,  bei denen  wirklich  eine
       solche Eeflexion  stattfindet,  ist hier offenbar.  Ein ähnlicher Trug-
       schluss ist es, wenn man in die Erscheinungen der Sitte ein zu großes
       Maß von Zweckbewusstsein hineindeutet, oder wenn man heutzutage
       so  viele Kurpfuschereien  als zweckmäßig  zu  rechtfertigen  sucht.
      Dieselbe  verfehlte  Üebertragung  findet  vielfach  im  Gebiete  der
       ethischen und ästhetischen Erscheinungen statt, indem auch hier von
       einem Theile der Erscheinungen in unberechtigter Weise auf einen
       anderen geschlossen wird.
          Die emotionalen Gründe der Anpassung entspringen theils der
      Natur des menschlichen Bewusstseins an   sich,  theils der Art, wie
      die Außenwelt auf   es  einwirkt.  In  ersterer Hinsicht kommt  die
      Wirkung des Selbstgefühls in Betracht.      Wir erinnern zur Er-
      läuterung an  eine  individuelle Analogie: jemand, der für  eine be-
      stimmte Handlung oder Handlungsweise den wahren Grund vergessen
      hat, wird, wenn  er nach einem solchen gefragt wird,  in der Eegel
      seine Unwissenheit vor anderen, wie vor sich selbst verschleiern und
      einen nachträglich  gebildeten Grund angeben.  Eine Hauptursache

          1) Vgl Wund t, Logik 2 n,  2. S. 156.
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