Page 93 - Untergegangene VölkerDie Unvernunft der Gottlosigkeit
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Die moralischen Werte der Ignoranz             91


             selei andeutet, sind es die Gefühle einer empfindsamen Person, die
             vorwiegend ihr Verhalten bestimmen. Wenn die Gefühle regieren,
             findet Weisheit keinen Platz. In diesem Fall ist es einem empfindsa-
             men Individuum kaum möglich, Dinge mit vernünftigen
             Grundsätzen anzugehen und das ist der eigentliche Grund seiner
             Überempfindlichkeit.
               Ein Mensch, der dazu neigt, das Geschehen in irrationaler Weise
             zu betrachten, bildet sich ein, alles drehe sich um ihn. Er nimmt an,
             dass jedermann über ihn redet und Pläne gegen ihn schmiedet.
             Insbesondere diese Tendenz beherrscht das Benehmen aller
             Mitglieder der ignoranten Gesellschaft und manche sind nahezu
             besessen davon. Mit zunehmendem  Alter zeichnet sich diese
             Tendenz merklich ab. Ältere Leute nehmen alles, von Verwandten
             sowie von Fremden, als eine Beleidigung auf und darüber hinaus
             inszenieren sie in ihrer Phantasie allerlei Grausamkeiten die ihnen
             widerfahren. Obwohl sie gut versorgt sein mögen, nehmen sie an,
             dass ihre Kinder sie nicht lieben und in ein Altersheim schicken
             wollen. Weiterhin setzen sie voraus, dass ihre Kinder sie als eine

             Last empfinden.
               Das ist in der Tat eine natürliche Konsequenz der unsicheren
             Umwelt, die von der Sittlichkeit der Ignoranz geschaffen wird. Die
             Art und Weise, in der sich die Mitglieder der ignoranten
             Gesellschaft verhalten, mag sehr wohl als verletzend empfunden
             werden. Unnachsichtiges, heuchlerisches und rachsüchtiges
             Verhalten ist gewiss sehr bedrückend, speziell wenn man bedenkt,
             dass solches Benehmen absichtlich ist. Obwohl diese Erklärungen
             die Schwäche der Verletzlichkeit nicht rechtfertigen, sind sie den-
             noch wichtig in dem Sinn, dass sie die verdorbene Grundlage ent-
             hüllen, auf der die Sittlichkeit der Ignoranz beruht. Eine ältere
             Person, die mit ihrem Sohn und ihren Enkelkindern lebt, fühlt sich
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