Page 94 - Der Darwinismus als soziale Waffe
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Das T4-Euthanasie-Programm:

                       “Wissenschaftlicher“ Mord


                       Die Nürnberger Gesetze wurden zur Grundlage
                  noch viel unglaublicherer Maßnahmen, wie des

                  Massenmordes an geistig Behinderten. Das sogenannte
                  T4-Euthanasie-Programm erhielt seinen Namen nach
                  der Adresse in Berlin, von wo aus es verwirklichlicht
                  wurde: Tiergartenstraße 4.
                       Gemäß dem T4-Programm wurden Unheilbare, ph-
                  ysisch oder geistig Behinderte, Menschen mit psychis-
                  chen Problemen und ältere Menschen getötet, um die
                  “Reinhaltung der Rasse“ zu ermöglichen. Kinder,
                  Frauen und  Alte wurden in Gaskammern gesteckt.

                  Aber auch Abertausende unschuldiger Menschen wur-
                  den umgebracht, weil sie als schwach oder machtlos
                  galten. Diese Kampagne ordnete Hitler 1939 an.
                  Offiziell wurde sie 1941 beendet, inoffiziell dauerte sie
                  bis zum Kriegsende 1945.
                       Das T4-Programm galt als “Geheime Reichssache“,
                  und alle damit befassten Personen mussten darüber

                  Stillschweigen bewahren. Einer der Gründe, warum
                  tatsächlich damals wenig über das Euthanasie-
                  Programm bekannt wurde, war die Tatsache, dass alle
                  dabei Mitwirkenden später an die gefährlichsten
                  Frontabschnitte versetzt wurden, zum Beispiel nach
                  Jugoslawien, weil die dort kämpfenden Partisanen in
                                                                                     Eine Karikatur aus 1945 zeigte, wie alle Vorhaben von Hitler in
                  der Regel keine Gefangenen machten. Die meisten                                                    Tod und Grausamkeit endeten.
                  Augenzeugen der Euthanasie-Kampagne sind an der
                  jugoslawischen Front gefallen.

                       In seinem Buch Fundamental Outline of Racial Hygiene (Grundlegung der Rassenhygiene) sprach Alfred Ploetz als
                  einer der ersten vom Töten der Kranken und Behinderten. Ploetz zufolge war es ein schwerer Fehler aus Sicht der
                  Erhaltung der Rassenreinheit, Kranke und Schwache zu schützen und sich um sie zu sorgen - also das zu tun, was in
                  einer gesunden Gesellschaft selbstverständlich ist. Stattdessen plädierte Ploetz für deren physische Ausmerzung.
                  Seine Unmenschlichkeit ging so weit, dass er sogar forderte, dass krank oder behindert zur Welt kommende
                  Neugeborene von dabei anwesenden Ärzten sofort durch eine Dosis Morphium getötet werden sollten.
                       Aber es gab noch andere in den Fußstapfen eines Ploetz. Schon 1922 hatten der Jurist Karl Binding und der
                  Psychiater Alfred Hoche ein Buch veröffentlicht mit dem Titel The Release of the Destruction of Life Devoid of Value (Die

                  Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens). In diesem Buch vertraten sie die Auffassung, dass Kranke und
                  Behinderte sich selbst und der Gesellschaft nur eine Last seien. Sie zu töten, sei deshalb kein großer Verlust, im
                  Gegenteil: Die Kosten für die Lebenserhaltung dieser “nutzlosen“ Menschen seien unverhältnismäßig hoch, we-
                  shalb es besser sei, wenn der Staat diese Gelder irgendwo anders produktiv investieren würde. Als Lösung schlugen
                  sie vor, die physisch und geistig Kranken zu töten und zu diesem Zweck religiöse und gesetzliche Vorschriften zu
                  lockern oder aufzuheben.    126  Eines von Hoches aberwitzigen Argumenten war, dass ohnehin moralische Werte hin-
                  sichtlich des Schutzes menschlichen Lebens schon bald verschwinden würden und die Ausmerzung “lebensun-
                  werten Lebens“ eine Selbstverständlichkeit werden würde.         127

                       Um eine klare Vorstellung davon zu bekommen, wie unvorstellbar grausam solche “Empfehlungen“ sind,
                  braucht man sich nur vorzustellen, selbst in einer Gesellschaft zu leben, wo Derartiges praktiziert wird. Was wäre,
                  wenn Ihre taube Schwester, Ihre blinde Mutter, Ihr geistig verwirrter Großvater, Ihre gelähmte Großmutter, ihr alt-
                  gewordener Vater vor Ihren Augen abtransportiert werden würden, um getötet zu werden - im Namen der
                  Wissenschaft und zum Wohl der Gesellschaft? Gewiss würden Sie keiner Wissenschaft zugestehen, Menschen zu
                  töten, die Sie lieben. Sie würden sofort erkennen, dass ein solches Vorhaben nur die Ausgeburt kranker Gehirne sein





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