Page 1001 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Einundzwanzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Woher es kam, daß Hannibal bei ganz verschiedener
Handlungsweise die gleichen Erfolge in Italien hatte wie Scipio in
Spanien.
Man könnte sich wohl darüber wundern, daß mancher Feldherr auf ganz
entgegengesetzten Wegen das gleiche erreicht hat wie jene, die auf die
oben beschriebene Weise verfuhren. Die Ursache der Siege scheint also
nicht in diesem Verfahren zu liegen, und dieses scheint weder mehr
Macht noch mehr Glück zu verleihen, da man ja auch auf die
entgegengesetzte Weise zu Ruhm und Ansehen gelangen kann. Um bei
den obengenannten Männern stehenzubleiben, wiederhole ich, um meine
Ansicht recht deutlich zu machen: Als Scipio nach Spanien kam, erwarb
er sich durch seine Menschlichkeit und Milde sofort die Freundschaft des
Landes und wurde von den Völkern angebetet und bewundert. Als
dagegen Hannibal in Italien eindrang, erreichte er durch völlig
entgegengesetzte Mittel, durch Gewalttätigkeit, Grausamkeit, Räubereien
und Treulosigkeiten aller Art dasselbe wie Scipio in Spanien, denn bei
seinem Erscheinen erhoben sich alle Städte Italiens und alle Völker
hingen ihm an.
Überlegt man, woher dies wohl kommen konnte, so finden sich
mehrere Gründe. Erstens sind die Menschen neuerungssüchtig, und
gerade die, denen es gut geht, wünschen ebensosehr eine Veränderung
wie die, denen es schlecht geht. Denn wie ich schon früher sagte und wie
es durchaus zutrifft, werden die Menschen im Glück übermütig und im
Unglück verzagt. Dies Verlangen nach Neuerungen öffnet also jedem die
Tore, der sich in einem Lande an die Spitze einer Neuerung stellt. Ist es
ein Fremder, so strömt ihm alles zu. Ist es ein Einheimischer, so hängt
man sich ihm an, stärkt und begünstigt ihn. Er mag also auftreten wie er
will, er wird an solchen Orten stets große Fortschritte machen. Zudem
werden die Menschen von zwei Haupttrieben beherrscht, von Liebe und
Furcht. Man erlangt also die gleiche Gewalt über sie, ob man nun ihre
Liebe gewinnt oder ihnen Furcht einflößt. Ja meistenteils findet der,
welcher Furcht erregt, mehr Folgsamkeit und Gehorsam als der, welcher
Liebe erweckt. Deshalb kommt es bei einem Feldherrn wenig darauf an,
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