Page 997 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neunzehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                         Ob zur Leitung der Menge Milde nötiger ist als Strenge.


                Die römische Republik war durch den Zwist zwischen Adel und
                Plebejern aufgerührt. Als aber ein Krieg ausbrach, wurden die Konsuln
                Titus Quinctius und Appius Claudius mit den Heeren ausgeschickt. 471
                v. Chr. Vgl. Livius II, 58 ff. Appius war hart und rauh und fand bei
                seinen Leuten so wenig Gehorsam, daß er, fast völlig geschlagen, floh.

                Quinctius, der gütig und leutselig war, hatte gehorsame Soldaten und
                trug den Sieg davon. Danach scheint zur Leitung einer Menge
                Leutseligkeit besser als Stolz, Milde besser als Härte. Vgl. Diodor,
                XXVII, 18, 60, und Polybios, VI, ll, 8, sowie Buch III, Kap. 20 und 22
                dieses Werkes. Tacitus jedoch, dem viele andre Schriftsteller

                beistimmen, stellt die gegenteilige Ansicht auf, wenn er sagt: In
                multitudine regenda plus poena quam obsequium valet. Tacitus,
                Annalen, III, 55, 4. (Zur Regierung der Menge gilt Strafe mehr als Güte.)
                     Erwäge ich nun, wie sich beide Meinungen rechtfertigen lassen, so
                sage ich: Entweder hast du Leute zu regieren, die gewöhnlich
                deinesgleichen, oder solche, die stets deine Untertanen sind. Sind sie
                deinesgleichen, so kannst du nicht ausschließlich strafen und die Strenge

                walten lassen, von der Tacitus redet. Da nun die Plebejer in Rom sich mit
                dem Adel in die Regierung teilten, konnte ein Mann, der eine Zeitlang
                ihr Befehlshaber wurde, sie nicht hart und rauh behandeln. Auch hatten
                die römischen Feldherrn, die sich die Liebe ihrer Heere erwarben und sie
                milde behandelten, häufig bessere Erfolge als die, welche sich besonders
                gefürchtet machten, wenn sie nicht, wie Manlius Torquatus,

                ausnehmende Tapferkeit damit verbanden.
                     Wer dagegen Untertanen regiert, von denen Tacitus spricht, der muß
                eher Strafe als Güte anwenden, damit sie nicht übermütig werden und
                ihn nicht wegen seiner allzu großen Nachgiebigkeit mit Füßen treten.
                Doch muß auch die Strafe so maßvoll erfolgen, daß kein Haß daraus
                entsteht, denn sich verhaßt machen, schlägt für keinen Fürsten gut aus.
                Um den Haß zu vermeiden, lasse man das Eigentum der Untertanen

                unangetastet; denn ohne geheime Raubsucht ist kein Fürst blutdürstig,
                außer im Notfall, und der kommt selten. Mischt sich jedoch Raubsucht





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