Page 993 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Siebzehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Man darf einen Mann nicht beleidigen und ihm nachher die Leitung
                                      einer wichtigen Sache anvertrauen.


                Eine Republik muß sehr darauf achten, niemand mit einem wichtigen
                Geschäfte zu betrauen, der früher von andern blutig gekränkt worden ist.
                Als Claudius Nero dem Hannibal gegenüberstand, zog er mit einem Teil
                seines Heeres plötzlich ab und rückte in die Mark zu dem andern Konsul,

                um den Hasdrubal vor seiner Vereinigung mit Hannibal zu schlagen. S.
                Buch II, Kap. 10. Nero hatte früher in Spanien dem Hasdrubal
                gegenübergestanden und ihn dort mit seinem Heere so eingeschlossen,
                daß er sich in ein nachteiliges Gefecht einlassen oder verhungern mußte.
                Hasdrubal aber hatte ihn durch Friedensangebote so schlau hingehalten,

                daß er selbst entschlüpfte und ihn um die Gelegenheit brachte, ihn
                aufzureiben. Als dies in Rom bekannt wurde, ward es ihm vom Volk und
                Senat sehr verargt; ja, die ganze Stadt sprach sehr unehrerbietig von ihm
                und bereitete ihm dadurch viel Schande und Ärger. Nachdem er nun
                Konsul geworden und mit einem Heere gegen Hannibal geschickt war,
                faßte er den oben genannten äußerst gefährlichen Entschluß, der Rom in
                Angst und Besorgnis versetzte, bis die Nachricht von Hasdrubals

                Niederlage eintraf. Als Claudius später gefragt wurde, weshalb er einen
                so gefährlichen Schritt getan habe, durch den er Roms Freiheit ohne
                dringende Not aufs Spiel gesetzt habe, antwortete er: um im Fall des
                Gelingens seinen in Spanien verlorenen Ruhm wiederzugewinnen, im
                Fall des Mißlingens aber sich an Rom und an den Bürgern zu rächen, die
                ihn so undankbar und unbillig gekränkt haben. Vermochte aber der

                Rachedurst so viel bei einem römischen Bürger und zu einer Zeit, wo die
                Sitten noch rein waren, so läßt sich denken, welche Gewalt er über die
                Bürger einer Stadt hat, die nicht so ist wie das damalige Rom. Da sich
                nun den Republiken gegen dies Übel kein sicheres Mittel verschreiben
                läßt, so ist es auch nicht möglich, eine Republik von ewiger Dauer zu
                gründen, da sie auf tausend unerwarteten Wegen zugrunde gehen kann.












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