Page 994 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Achtzehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Nichts bringt einem Feldherrn mehr Ehre, als die Pläne des Feindes
                                                 zu durchschauen.


                Epaminondas sagte, Vielmehr Chabrias. Vgl. Plutarch, Moralia, 187 a,
                Stobäus, Florilegium, ed. Meinecke, II, 329, Nr. 353. Ebenso
                Thukydides, II, 9, und Polybios, III, 84, 10 nichts sei für einen Feldherrn
                nötiger und nützlicher als die Pläne und Entschlüsse des Feindes zu

                kennen. Und da dies schwer ist, verdient der um so mehr Lob, der sie zu
                erraten versteht. Oft aber sind die Pläne des Feindes leichter zu
                durchschauen als das, was er tut, und zwar nicht das, was er in der Ferne
                tut, sondern im Augenblick und in der Nähe. Denn es ist oft
                vorgekommen, daß eine Schlacht bis zur Nacht währte und der Sieger sie

                verloren, der Besiegte aber gewonnen zu haben glaubte. Ja, dieser Irrtum
                hat manchen Feldherrn schon zu unheilvollen Entschlüssen verleitet. So
                erging es dem Brutus und Cassius, die dadurch den Krieg verloren. Als
                nämlich Brutus mit seinem Flügel gesiegt hatte, aber Cassius glaubte, er
                sei unterlegen und das ganze Heer geschlagen, verzweifelte er in diesem
                Irrtum am Schicksal und nahm sich selber das Leben. Bei Philippi, 42 v.
                Chr.

                     Als in unsrer Zeit in der Schlacht bei Santa Cecilia Schlacht bei
                Marignano (1515). zwischen Franz I. und den Schweizern die Nacht
                hereinbrach, glaubte der Teil der Schweizer, der noch nicht im Gefecht
                gewesen war, sie hätten gesiegt, weil sie von den Geschlagenen und
                Gefallenen nichts wußten. Infolge dieses Irrtums dachten sie nicht an
                ihre Rettung, sondern warteten den Morgen ab, um zu ihrem großen

                Schaden den Kampf zu erneuern. Ja, sie verleiteten dadurch das
                päpstliche und spanische Heer zum gleichen Irrtum und bereiteten
                beiden fast den Untergang, denn beide gingen auf die falsche
                Siegesnachricht hin über den Po und wären, wenn sie zu weit vorgerückt
                wären, den siegreichen Franzosen in die Hände gefallen.
                     Ein ähnlicher Irrtum fiel im Lager der Römer und Aequer vor. Livius
                IV, 38 ff. (423 v. Chr.) Der Konsul Sempronius, der dem Feind

                gegenüberstand, hatte die Schlacht begonnen, und sie zog sich mit
                wechselndem Glück bis zum Abend hin. Mit Einbruch der Nacht kehrte





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