Page 999 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zwanzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                  Ein Beweis von Menschlichkeit richtete bei den Faliskern mehr aus
                                        als die Waffengewalt der Römer.


                Als Camillus Falerii belagerte, kam ein Schulmeister, im Glauben, sich
                damit bei Camillus und dem römischen Volk einzuschmeicheln, mit den
                vornehmsten Kindern der Stadt unter dem Vorwand eines Spaziergangs
                ins Lager zu Camillus und stellte sie ihm mit den Worten vor: durch sie

                werde er die Stadt in seine Hände bekommen. Camillus schlug dies
                Anerbieten nicht nur aus, sondern ließ den Schulmeister entkleiden, ihm
                die Hände auf den Rücken binden und ihn von den Knaben, deren jeder
                eine Rute erhielt, unter Schlägen in die Stadt zurücktreiben. Als die
                Falisker diesen Vorfall erfuhren, gefiel ihnen die Menschlichkeit und

                Rechtschaffenheit des Camillus, so daß sie sich nicht mehr verteidigen
                wollten und ihm die Stadt zu übergeben beschlossen. 394 v. Chr. Vgl.
                Livius V, 27.
                     Aus diesem wahren Beispiel ersieht man, wieviel stärker bisweilen
                ein Akt der Menschlichkeit und Güte auf die Gemüter der Menschen
                wirkt als eine grausame, gewalttätige Handlung, und wie oft Länder und
                Städte, die Waffen, Kriegsmaschinen und jede andre menschliche Gewalt

                nicht öffnen konnte, durch einen Akt von Menschlichkeit und Güte, von
                Keuschheit oder Großmut geöffnet wurden. Die Geschichte liefert
                hierfür noch viele andre Beispiele.
                     So konnten die römischen Waffen den Pyrrhus nicht aus Italien
                vertreiben, und es vertrieb ihn die Großmut des Fabricius, der ihm das
                Anerbieten seines Leibarztes, ihn zu vergiften, eröffnete. So brachte die

                Eroberung Neukarthagos in Spanien dem Scipio nicht so viel Ruhm als
                jenes Beispiel von Keuschheit, als er das junge und schöne Weib
                unberührt seinem Gatten zurückgab; ja der Ruf dieser Handlung machte
                ihm ganz Spanien zum Freunde.
                     Man sieht auch, wie sehr die Völker diese Eigenschaft bei den
                Großen wünschen und wie sehr die Schriftsteller sie preisen, die das
                Leben der Fürsten beschreiben oder Regeln für ihr Leben aufstellen.

                Unter diesen bemüht sich besonders Xenophon, zu zeigen, wieviel Ehre,
                wieviel Siege, welchen hohen Ruf sich Kyros S. Buch II, Kap. 13. Nach





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