Page 1004 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zweiundzwanzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                      Die Härte des Manlius Torquatus und die Milde des Valerius
                                     erwarben beiden den gleichen Ruhm.


                In Rom waren zur selben Zeit zwei ausgezeichnete Feldherren, Manlius
                Torquatus und Valerius Corvinus, Vielmehr Marcus Valerius Corvus, der
                Held des ersten Samniterkrieges (343-341 v. Chr.) beide gleich an
                Verdiensten, Triumphen und Ruhm. Diesen Ruhm erwarben sie sich dem

                Feind gegenüber durch gleiche Tapferkeit, aber dem Heere gegenüber
                durch ganz verschiedene Behandlung der Soldaten. Denn Manlius führte
                den Oberbefehl mit jeder Art von Strenge und erließ den Soldaten keine
                Strapazen und Strafen; Valerius hingegen behandelte sie in jeder Weise
                freundlich und mit vertraulicher Leutseligkeit. Der eine ließ seinen Sohn

                hinrichten, um sich Gehorsam zu verschaffen, der andre tat niemand
                etwas zuleide. Trotz so verschiedenen Verhaltens hatten beide die
                gleichen Erfolge, sowohl dem Feind gegenüber als zum Nutzen der
                Republik und zum eignen Vorteil. Nie wich ein Soldat aus der Schlacht,
                empörte sich gegen sie oder verweigerte ihnen irgendwie den Gehorsam,
                obwohl Manlius in seinen Befehlen so hart war, daß man alle Befehle,
                die zu weit gingen, Manliana imperia nannte.

                     Hier ist nun zuerst zu untersuchen, warum Manlius so streng
                verfahren mußte, zweitens, warum Valerius so menschlich verfahren
                konnte, drittens, warum ihr entgegengesetztes Benehmen den gleichen
                Erfolg hatte, und schließlich, welches besser und nachahmenswerter ist.
                     Betrachtet man den Charakter des Manlius von der Zeit an, wo
                Livius ihn zuerst erwähnt, so findet man einen sehr tapfern Mann, voller

                Liebe gegen Vater und Vaterland, voller Ehrfurcht gegen seine
                Vorgesetzten. Man erkennt dies aus dem Zweikampf mit dem Gallier, aus
                der Verteidigung seines Vaters gegen den Tribunen und aus den Worten,
                die er vor dem Kampf mit dem Gallier zum Konsul sprach: Iniussu tuo
                adversus hostem nunquam pugnabo, non si certam victoriam
                videam. Livius VII, 10 (361 v. Chr.). Für die Verteidigung des Vaters
                gegen den Tribunen s. Buch I, Kap. 11, dieses Werkes. (Ohne dein
                Geheiß werde ich nie mit dem Feinde kämpfen, auch wenn ich den
                sichern Sieg vor Augen hätte.) Gelangt nun ein solcher Mann zu einer






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