Page 1005 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Befehlshaberstelle, so will er, daß alle ihm gleich sind, sein tapfrer Geist
                läßt ihn schwere Dinge befehlen und verlangt die Ausführung dieser
                Befehle. Es ist aber eine sehr wahre Regel, daß auf die Ausführung

                harter Befehle mit Härte gehalten werden muß, widrigenfalls man sich
                getäuscht sieht. Will man also Gehorsam finden, so muß man zu
                befehlen verstehen; das aber versteht nur, wer sich mit dem, der
                gehorchen soll, vergleicht. Findet er das rechte Verhältnis, dann soll er
                befehlen; findet er es nicht, dann soll er es lassen. Darum sagte ein
                weiser Mann, um einen Staat mit Gewalt zu beherrschen, müßten die
                Kräfte des Zwingherrn und der Bezwungenen im rechten Verhältnis

                stehen. Wo dies der Fall sei, könne man glauben, daß die Herrschaft von
                Dauer sei. Wäre aber der Unterdrückte stärker als der Unterdrücker, so
                könne man täglich das Ende der Gewaltherrschaft erwarten. Um aber zu
                unserm Gegenstand zurückzukehren, sage ich: um starke Taten zu
                befehlen, muß man selbst stark sein. Wer aber diese Stärke besitzt und
                solche Taten befiehlt, kann die Ausführung nicht mit Sanftmut erwirken.

                Wer hingegen diese Stärke des Geistes nicht besitzt, der hüte sich vor
                außerordentlichen Befehlen. Er kann bei gewöhnlichen Befehlen seine
                Milde zeigen, denn die gewöhnlichen Strafen werden nicht dem Fürsten,
                sondern den Gesetzen und Einrichtungen zugerechnet. Man muß also
                annehmen, daß Manlius zu seinem strengen Verfahren durch die
                ungewöhnlichen Befehle gezwungen wurde, die er seiner Natur nach
                gab. Dergleichen Befehle sind in Republiken nützlich, weil sie deren

                Einrichtungen zu ihrem Ursprung und zu ihrer alten Trefflichkeit
                zurückführen. Ja, wäre eine Republik so glücklich, oft Männer zu haben,
                die durch ihr Beispiel die Gesetze erneuern und den Staat nicht allein auf
                der Bahn des Verderbens aufhalten, sondern ihn zurückführen, so würde
                sie ewig bestehen. Manlius war ein solcher Mann. Durch die Härte seiner
                Befehle hielt er die römische Kriegszucht aufrecht. Hierzu zwang ihn

                zuerst seine Natur und dann das Verlangen, das ausgeführt zu sehen, was
                er aus natürlicher Neigung befohlen hatte.
                     Andrerseits konnte Valerius milde verfahren, da er sich damit
                begnügte, auf die Befolgung der gewöhnlichen Kriegsregeln der
                römischen Heere zu halten. Da diese gut waren, so reichten sie hin, ihm
                Ehre zu machen, und da sie nicht schwer zu beachten waren, hatte er es
                nicht nötig, Übertretungen zu bestrafen, denn es gab entweder keine,

                oder hätte es doch welche gegeben, so hätte man ihre Bestrafung, wie
                gesagt, nicht der Härte des Befehlshabers, sondern den Einrichtungen
                zugeschrieben. Valerius konnte also stets milde verfahren und sich
                dadurch den Dank der Soldaten und ihre Zufriedenheit erwerben, und so





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