Page 991 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Wenn ich nun bedenke, was dagegen zu tun sei, so finde ich zwei
Mittel. Das eine ist, die Bürger in Armut zu erhalten, damit sie durch
Reichtum ohne Verdienst weder sich noch andre verderben können. Das
zweite ist, sich so auf den Krieg einzurichten, daß man stets Krieg führen
kann und daher auch stets ausgezeichneter Bürger bedarf. So verfuhr
Rom in seinen ersten Zeiten. Da es immer Heere im Felde hielt, so hatten
die Tüchtigen stets freie Bahn. Keinem konnte sein verdienter Rang
genommen und einem, der ihn nicht verdiente, gegeben werden; denn
jeder Mißgriff oder Versuch dieser Art hätte so große Unordnung und
Gefahr mit sich gebracht, daß man sofort wieder auf den rechten Weg
zurückgekehrt wäre. Die andern Republiken aber, die nicht wie Rom
eingerichtet sind und nur dann Krieg führen, wenn die Not sie dazu
zwingt, können sich dieses Übelstandes nicht erwehren. Sie verfallen
ihm vielmehr immer wieder, und immer wird Unordnung daraus
entstehen, wenn ein zurückgesetzter, verdienstvoller Bürger rachsüchtig
ist und einiges Ansehen oder Anhang in der Stadt hat. Sogar Rom konnte
dies Übel nur eine Zeitlang verhüten. Nachdem es Karthago und den
Antiochos besiegt und keinen Krieg mehr zu fürchten hatte, glaubte es
seine Heere jedem beliebigen anvertrauen zu können und sah nicht mehr
auf die Tüchtigkeit des Feldherrn, sondern auf andre Eigenschaften, die
ihn beim Volke beliebt machten. So bewarb sich Aemilius Paulus
mehrmals vergebens um das Konsulat und wurde nicht eher Konsul, als
bis der Krieg mit Mazedonien ausbrach. Da man diesen für gefährlich
hielt, wurde es ihm von der ganzen Stadt einstimmig übertragen.
Als unsre Stadt Florenz nach dem Jahre 1494 Nach der Vertreibung
der Medici. S. Lebenslauf, 1494. viele Kriege zu führen hatte und die
Florentiner sämtlich ihre Untauglichkeit bewiesen hatten, verfiel die
Stadt glücklicherweise auf einen Mann, der zeigte, wie man Heere zu
führen hat. Das war Antonio Giacomini. Solange nun die Kriege
gefährlich waren, ruhte aller Ehrgeiz der übrigen Bürger, und es fand
sich bei der Wahl der Kommissare und Feldherrn kein Mitbewerber. Als
aber ein Krieg kam, bei dem nichts zu befürchten, aber viel Ehre und
Ansehen zu erwerben war, fanden sich so viele Mitbewerber, daß von
den drei Kommissarstellen, die zur Belagerung von Pisa zu besetzen
waren, Giacomini nicht eine erhielt. Der Schaden, der daraus dem Staate
erwuchs, war zwar nicht deutlich zu sehen, aber doch leicht zu vermuten.
Denn das von allen Verteidigungs- und Lebensmitteln entblößte Pisa
wäre durch Giacomini derart in die Enge getrieben worden, daß es sich
Florenz auf Gnade und Ungnade ergeben hätte. Da es aber von
Feldherren belagert wurde, die die Stadt weder zu belagern noch mit
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