Page 986 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Volkshaufe ist nur deshalb zum Kriege unbrauchbar, weil jedes Gerücht,
                jeder Ruf, jeder Lärm ihn erschreckt und in die Flucht treibt. Ein guter
                Feldherr muß daher unter anderm auch genau bestimmen, wer seine

                Befehle zu empfangen und weiterzugeben hat. Er muß seinen Soldaten
                angewöhnen, nur ihren Führern zu glauben, und diese dürfen nur sagen,
                was er ihnen befohlen hat. Aus der Nichtbefolgung dieser Regel hat man
                häufig die größten Unordnungen entstehen sehen.
                     Was die unerwarteten Erscheinungen betrifft, so soll sich jeder
                Feldherr bemühen, während des Kampfes solche zu veranlassen, die den
                Seinigen Mut machen und die Feinde entmutigen; denn dies ist einer der

                wirksamsten Nebenumstände des Sieges. Als Beispiel kann man den
                römischen Diktator Gajus Sulpicius S. Buch III, Kap. 10. anführen, der
                in einer Schlacht mit den Galliern alle Troß- und Packknechte im Lager
                bewaffnete, sie auf Maul- und Lasttiere setzte und ihnen Waffen und
                Feldzeichen gab, so daß sie wie Reiterei aussahen. So stellte er sie hinter
                einer Anhöhe auf und befahl ihnen, auf ein gegebenes Zeichen, wenn die

                Schlacht am heftigsten tobte, hervorzukommen und sich den Feinden zu
                zeigen. Dies geschah und jagte den Galliern solchen Schrecken ein, daß
                sie die Schlacht verloren.
                     Ein guter Feldherr muß also zweierlei tun, erstens den Feind durch
                solche neuen Erfindungen zu erschrecken suchen, und zweitens darauf
                gefaßt sein, die Erfindungen des Feindes zu entdecken und zu vereiteln,
                wie es der König von Indien mit der Semiramis tat. Als diese nämlich

                sah, daß der König eine große Zahl Elefanten hatte, suchte sie ihn zu
                erschrecken, indem sie sich den Schein gab, als hätte sie auch eine große
                Anzahl davon. Zu diesem Zweck ließ sie vielen Kamelen durch Büffel-
                und Kuhhäute Elefantengestalt geben und stellte sie vor ihr Heer. Da
                aber der König den Betrug durchschaute, so half er ihr nicht nur nichts,
                sondern war ihr auch nachteilig. – Als der Diktator Mamercus gegen die

                Fidenaten im Felde stand, 426 v. Chr. brauchten diese, um das römische
                Heer zu erschrecken, den Kunstgriff, daß sie mitten in der Hitze des
                Gefechts eine Anzahl Soldaten mit Feuer auf den Lanzen aus Fidenae
                hervorbrechen ließen, damit die Römer, durch die Neuheit des Anblicks
                überrascht, in Verwirrung gerieten.
                     Hierbei ist zu bemerken, daß solche Erfindungen nur dann in der
                Nähe gezeigt werden dürfen, wenn sie mehr Wahrheit als Blendwerk

                sind, denn dann machen sie so viel Eindruck, daß ihre Schwäche sich
                nicht so leicht herausstellt. Sind sie aber mehr Blendwerk als Wahrheit,
                so unterläßt man sie lieber ganz oder bleibt doch so weit damit ab, daß
                sie nicht so leicht entdeckt werden können, wie es Gajus Sulpicius mit





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