Page 984 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Ferner kann man fragen, ob ein guter Feldherr sich leichter ein gutes
Heer bilden oder ob ein gutes Heer sich leichter einen tüchtigen
Feldherrn schaffen könne. Ich antworte: diese Frage scheint schon
entschieden; denn viele Gute werden leichter einen Guten finden oder
heranbilden als einer viele. Als Lucullus gegen Mithridates gesandt
wurde, war er im Krieg ganz unerfahren. Trotzdem machte ihn das gute
Heer, das viele treffliche Führer besaß, bald zum guten Heerführer. Aus
Mangel an Leuten bewaffneten die Römer eine Menge Sklaven und
ließen sie durch Sempronius Gracchus ausbilden, der in kurzer Zeit ein
gutes Heer aus ihnen machte. Tiberius Sempronius Gracchus schlug im
zweiten punischen Kriege den Hanno 214 v. Chr. bei Benevent mit
Sklavenlegionen. Vgl. Livius XXIV, 16. Nachdem Pelopidas und
Epaminondas, wie wir andernorts sagten, S. Buch I, Kap. 17 und 21.
Theben vom Joch Spartas befreit hatten, machten sie in kurzer Zeit aus
den thebanischen Bauern die besten Soldaten, die dem Heer der
Spartaner nicht allein widerstanden, sondern es besiegten. So steht die
Sache gleich, denn wenn ein Teil gut ist, kann er den andern dazu
machen.
Allerdings pflegt ein gutes Heer ohne einen guten Feldherrn
übermütig und gefährlich zu werden, wie das mazedonische Heer nach
dem Tode Alexanders und die Veteranen nach den Bürgerkriegen. Daher
glaube ich, daß man sich mehr auf einen Feldherrn verlassen kann, der
Zeit hat, seine Leute auszubilden, und Gelegenheit, sie in den Waffen zu
üben, als auf ein übermütiges Heer mit selbstgewähltem,
aufrührerischem Anführer. Doppelten Ruhm verdienen daher die
Feldherren, die nicht nur den Feind zu besiegen, sondern sich vorher ein
tüchtiges Heer heranzubilden hatten, denn hier zeigt sich ein doppeltes
und so seltenes Verdienst, daß viele, denen diese schwierige Aufgabe
gestellt worden wäre, weniger geschätzt und gepriesen würden, als es
jetzt geschieht.
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