Page 980 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zwölftes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                    Ein kluger Feldherr soll seine Soldaten soviel wie möglich in die
                       Notwendigkeit versetzen zu kämpfen, sie dem Feinde aber
                                                      benehmen.


                Wir haben schon andernorts dargelegt, wie nützlich für alle
                menschlichen Handlungen die Notwendigkeit ist und zu welchem
                Ruhme sie schon geführt hat. Wie einige Moralphilosophen gesagt

                haben, hätte der Mensch mit seinen Händen und seiner Zunge, den
                beiden edelsten Werkzeugen seines Ruhmes, nichts so Vollkommenes
                hervorgebracht, noch wären seine Werke zu solcher Höhe gediehen, hätte
                ihn die Not nicht dazu gezwungen. Die Feldherren des Altertums
                kannten die Kraft der Notwendigkeit und wußten; wie sehr sie das

                Gemüt der Soldaten in der Schlacht anfeuert. Darum taten sie alles, um
                die Soldaten in diese Notwendigkeit zu versetzen und sie dem Feinde zu
                benehmen. Sie öffneten ihm häufig einen Ausweg, den sie ihm
                verschließen konnten, und verschlossen den Ihrigen einen Weg, den sie
                ihnen offenlassen konnten. Wer also will, daß sich eine Stadt hartnäckig
                verteidigt oder daß ein Heer im Felde standhaft kämpft, muß vor allem
                danach trachten, den Kämpfern diese Notwendigkeit einzuprägen.

                Ebenso muß ein kluger Feldherr, der eine Stadt erobern will, die
                Leichtigkeit oder Schwierigkeit ihrer Eroberung nach der Kenntnis der
                Notwendigkeit bemessen, die die Einwohner zur Verteidigung zwingt.
                Findet er diese Notwendigkeit zwingend, so möge er die Einnahme für
                schwer halten, andernfalls für leicht. Daher kommt es, daß Städte nach
                ihrer Empörung schwerer zu erobern sind als bei ihrer ersten Einnahme.

                Denn das erstemal haben sie sich vor keiner Strafe zu fürchten, weil sie
                niemand beleidigt haben, und ergeben sich leicht. Haben sie sich aber
                empört und glauben sie, dadurch jemand beleidigt zu haben, so fürchten
                sie die Strafe und sind schwer zu erobern.
                     Solche Hartnäckigkeit entsteht auch bei benachbarten Fürsten und
                Republiken aus dem natürlichen Haß, der von ihrer Herrschsucht oder
                ihrer Eifersucht auf ihre Freiheit kommt, zumal bei Republiken, wie die

                in Toskana sind. Dieser Wettstreit und dies Widerstreben haben einer von
                ihnen die Eroberung der andern stets erschwert und werden es auch in





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