Page 979 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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rissen. So unterlagen sie im Kriege und behielten im Frieden die
Oberhand. Vor wenigen Jahren verschwor sich die Welt gegen
Frankreich, allein noch vor Ablauf des Krieges fiel Spanien von den
Verbündeten ab und schloß einen Sonderfrieden, so daß die andern bald
darauf nachfolgen mußten. Die »Heilige Liga« gegen Frankreich (s.
Lebenslauf, 1511-13) wurde durch den Frieden zu Orthez zwischen
Frankreich und Spanien gesprengt.
Wenn man daher viele mit einem im Kriege sieht, kann man stets mit
Sicherheit erwarten, daß der eine die Oberhand behalten wird, wenn er
nur so stark ist, daß er den ersten Angriff aushalten und durch Hinhalten
Zeit gewinnen kann. Kann er das nicht, so ist er tausend Gefahren
ausgesetzt, wie die Venezianer im Jahre 1508. Durch die Liga von
Cambrai. S. Lebenslauf, 1508 und 1509. Papst Julius II. schloß 1510 mit
Venedig Frieden und brachte 1511 die »Heilige Liga« (s. o.) mit
Venedig, Spanien und England gegen Frankreich zustande. Hätten sie
das französische Heer hinhalten und dadurch Zeit gewinnen können,
einen der Verbündeten zu sich herüberzuziehen, so hätten sie diesen
Verlust nicht erlitten. Da sie aber kein tapfres Heer hatten, das den Feind
hinhielt, gewannen sie keine Zeit, einen der Verbündeten abtrünnig zu
machen, und so gingen sie zugrunde. Denn man sieht ja, daß der Papst,
nachdem er das Seinige wieder hatte, Freundschaft mit ihnen schloß,
ebenso Spanien; sehr gern hätten auch beide, wenn sie gekonnt hätten,
ihnen die Lombardei gerettet, um Frankreich in Italien nicht zu mächtig
werden zu lassen. Die Venezianer konnten also ein Glied opfern, um den
Körper zu retten, und wäre dies beizeiten geschehen, so daß es nicht als
erzwungen erschien, d.h. vor Beginn der eigentlichen Kriegshandlung, so
wäre es das Klügste gewesen, während des Krieges aber war es
schimpflich und wohl auch ziemlich nutzlos. S. Buch I, Kap. 53. Vor
Beginn der Kriegshandlung aber konnten wenige in Venedig die Gefahr
vorhersehen, sehr wenige das Gegenmittel finden und keiner dazu raten.
Um aber wieder zu unserm Ausgangspunkt zurückzukehren, ziehe
ich den Schluß: wie der römische Senat zum Heil des Vaterlandes ein
Mittel gegen den Ehrgeiz der Tribunen in ihrer Vielheit fand, ebenso
wird auch ein Fürst, der von vielen angegriffen wird, ein Mittel dagegen
finden, wenn er nur mit Klugheit die rechten Maßregeln zu ihrer
Entzweiung zu treffen versteht.
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