Page 974 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zehntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Ein Feldherr kann der Schlacht nicht ausweichen, wenn sein Gegner
                                      durchaus eine Schlacht liefern will.


                Gaius Sulpicius dictator adversus Gallos bellum trahebat,
                nolens se fortunae committere adversus hostem, quem tempus
                deteriorem in dies et locus alienus faceret. Livius VII, 12 (358

                v. Chr.) (Der Diktator Gajus Sulpicius zog den Krieg gegen die Gallier in
                die Länge, da er einem Feind gegenüber, den die Zeit und das fremde
                Land von Tag zu Tag schwächte, nicht alles dem Glück überlassen
                wollte.) Wenn alle oder doch die meisten Menschen sich in einem Irrtum
                befinden, so ist es sicher nicht falsch, ihn öfter zu widerlegen. Obschon
                ich also mehrmals gezeigt habe, wie sehr wir in der Behandlung großer
                Angelegenheiten von den Alten abweichen, scheint es mir doch nicht

                überflüssig, noch einmal darauf zurückzukommen. Denn weicht man in
                irgend etwas von den Alten ab, so ist es gewiß in der Kriegführung, wo
                nichts mehr von alledem beachtet wird, worauf die Alten Wert legten.
                Dieser Übelstand kommt daher, daß die Republiken und Fürsten diese
                Sorge andern überlassen, um den damit verbundenen Gefahren zu

                entgehen. Sieht man heutzutage auch manchmal einen König in Person
                zu Felde ziehen, so glaube man ja nicht, es käme durch seine Gegenwart
                etwas anderes, Ruhmwürdigeres heraus. Denn zieht er wirklich einmal
                zu Felde, so tut er es zum Prunk und nicht aus einem andern, löblichen
                Grunde. Immerhin sehen diese Könige ihre Truppen doch mal mit eignen
                Augen und sind wenigstens dem Namen nach Oberbefehlshaber. Auch
                machen sie immer noch weniger Fehler als die Republiken, besonders

                die italienischen, die sich auf andre verlassen und nichts vom
                Kriegswesen verstehen, andrerseits aber, um als Herren zu erscheinen,
                darüber entscheiden wollen und dabei tausend Fehler begehen. Über
                einige dieser Fehler habe ich schon andernorts Vgl. Buch I, Kap. 23, und
                Buch II, an vielen Stellen. gehandelt. Ich will aber einen der wichtigsten
                hier nicht verschweigen.

                     Wenn solche müßigen Fürsten oder weibischen Republiken einen
                Feldherrn aussenden, glauben sie ihm keinen weiseren Auftrag geben zu
                können, als daß er sich auf keine Schlacht einlassen, ja, daß er sich auf
                jede Weise vor einem Kampf hüten soll. Damit glauben sie die Klugheit




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