Page 973 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Daher kommt es, daß eine Republik längere Lebensdauer und länger
Glück hat als ein Königreich, denn sie kann sich bei der Verschiedenheit
ihrer Bürger besser in die verschiedenen Zeiten schicken als ein Fürst.
Wer hingegen an eine Art zu handeln gewöhnt ist, ändert sich, wie
gesagt, nie und muß, wenn die veränderten Zeitläufte zu seinem
Verfahren nicht mehr passen, notwendig zugrunde gehen.
Piero Soderini, S. Lebenslauf, 1502, 1512, und Buch III, Kap. 3 und
30. den wir schon mehrfach anführten, verfuhr in allem mit Sanftmut
und Geduld. Er machte sein Vaterland glücklich, so lange seine
Handlungsweise in die Zeit paßte. Als dann aber Zeiten kamen, wo
Geduld und Sanftmut aufhören mußten, verstand er das nicht und ging
mit seinem Vaterland zugrunde. Papst Julius II. verfuhr während seines
ganzen Pontifikats mit Ungestüm und Heftigkeit, und da ihm die Zeiten
günstig waren, glückten ihm alle seine Unternehmungen. Wären aber
andre Zeiten gekommen, die eine andre Handlungsweise erforderten, so
wäre sein Untergang notwendig erfolgt, denn er hätte weder seine
Denkweise noch sein Benehmen geändert.
Daß wir uns aber nicht ändern können, liegt an zweierlei. Erstens
vermögen wir nichts gegen unsre Natur, und zweitens läßt sich ein
Mann, der bei einer Art zu handeln viel Glück gehabt hat, durch nichts
überzeugen, daß es ihm auch bei anderm Verfahren gelingen könnte. So
kommt es, daß das Glück eines Menschen wechselt, denn die Zeiten
wechseln, er aber ändert sein Verfahren nicht. Auch Staaten gehen unter,
wenn ihre Einrichtungen sich nicht mit den Zeiten ändern, wie wir oben
ausführlich erörtert haben. S. Buch III, Kap. 1. Sie gehen nur langsamer
zugrunde, weil ihre Veränderung mehr Mühe macht. Denn es müssen erst
Zeiten kommen, die den ganzen Staat erschüttern; ein einzelner reicht
zur Änderung nicht hin. Da ich aber den Fabius Maximus erwähnte, der
den Hannibal hinhielt, so will ich im folgenden Kapitel erörtern, ob ein
Feldherr, der dem Feinde durchaus eine Schlacht liefern will, von ihm
daran gehindert werden kann.
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