Page 970 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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erwecken, erschien bei Manlius kein einziger. Und die Volkstribunen, die
sonst alles zu begünstigen pflegten, was ihnen vorteilhaft für das Volk
erschien, und alles hervorkehrten, was gegen den Adel gerichtet war,
vereinigten sich in diesem Fall mit diesem, um ein gemeinsames
Verderben abzuwenden. Das römische Volk, das so sehr auf seinen
Vorteil bedacht war und alles begünstigte, was gegen den Adel geschah,
war zwar dem Manlius sehr gewogen; als ihn aber die Tribunen vorluden
und seine Sache dem Urteil des Volkes anheimstellten, ward das Volk
aus seinem Verteidiger zum Richter und verurteilte ihn rücksichtslos zum
Tode. Ich glaube daher, daß es in der römischen Geschichte kein besseres
Beispiel gibt, um die Vortrefflichkeit aller Einrichtungen der Republik zu
beweisen. Denn es rührte sich keiner in der Stadt zur Verteidigung eines
Bürgers, der mit allen Vorzügen ausgestattet war und öffentlich wie als
Privatmann sehr viele löbliche Taten vollbracht hatte. Bei allen war die
Vaterlandsliebe stärker als jede andre Rücksicht, und sie schlugen die
gegenwärtigen Gefahren, die von ihm drohten, so viel höher an als seine
früheren Verdienste, daß sie sich durch seinen Tod davon befreiten.
Livius sagt: Hunc exitum habuit vir, nisi in libera civitate
natus esset, memorabilis. VI, 20 (384 v. Chr.) (So endete der Mann,
der sich einen großen Namen gemacht hätte, wäre er nicht in einem
Freistaat geboren.)
Hierbei ist zweierlei zu beachten. Erstens, daß man in einer
verderbten Republik auf andern Wegen nach Ruhm streben muß, als in
einer, die noch nach freien Grundsätzen lebt. Zweitens, was fast auf das
gleiche herausläuft, daß die Menschen bei allem, was sie tun, besonders,
wenn sie Großes vorhaben, die Zeitverhältnisse in Betracht ziehen und
sich nach ihnen richten müssen. Wer sich durch schlechte Wahl seiner
Mittel oder natürliche Neigung in Gegensatz zu seiner Zeit stellt, der
führt meistenteils ein unglückliches Leben und seine Unternehmungen
scheitern; bei denen, die mit ihrer Zeit übereinstimmen, trifft das
Gegenteil zu. Sicher läßt sich aus den angeführten Worten des
Geschichtsschreibers schließen, daß Manlius in der Zeit des Marius und
Sulla, wo die Sitten bereits verderbt waren und er dem Staat die Form
seines Ehrgeizes hätte aufdrücken können, das gleiche erreicht hätte, wie
Marius und Sulla und die andern, die nach ihnen nach der
Alleinherrschaft strebten. Umgekehrt wären Marius und Sulla, hätten sie
zur Zeit des Manlius gelebt, gleich bei ihren ersten Unternehmungen
gescheitert.
Denn ein Mann kann wohl durch sein Benehmen und seine
schlimmen Praktiken den Grund zur Sittenverderbnis legen, aber sein
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