Page 972 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neuntes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                     Wer immer Glück haben will, muß sein Verfahren je nach den
                                                   Zeiten ändern.


                Ich habe oft gefunden, daß die Ursache des Glückes und des Unglückes
                der Menschen in der Anpassung ihres Betragens an die Zeitläufte liegt.
                Sie gehen bei ihren Handlungen teils ungestüm, teils zögernd und
                behutsam zu Werke. Da aber in beiden die richtige Grenze überschritten

                wird, weil man die rechte Mittelstraße nicht einhalten kann, so wird in
                beidem gefehlt. Der aber wird weniger irren und mehr Glück haben,
                dessen Handlungsweise zu seiner Zeit paßt. Immer aber wird der Mensch
                nur das tun, wozu seine Natur ihn zwingt.
                     Jedermann weiß, wie vorsichtig und behutsam Fabius Maximus im

                Gegensatz zum Ungestüm und zur Kühnheit Roms Krieg führte. Sein
                Glück wollte, daß sein Verfahren zu den damaligen Zeiten paßte. Denn
                Hannibal war jung und mit frischem Glück nach Italien gezogen und
                hatte zweimal das römische Volk geschlagen. Die Republik hatte fast alle
                ihre guten Soldaten verloren; sie war entmutigt und konnte daher kein
                besseres Los ziehen, als einen Feldherrn zu haben, der den Feind durch
                sein Zaudern und seine Behutsamkeit hinhielt. Ebenso konnte Fabius für

                sein Verfahren keine passendere Zeit finden, und daher kam es, daß er
                sich Ruhm erwarb. Daß aber Fabius seiner Natur nach, nicht aus freier
                Wahl so handelte, sieht man daraus, daß er sich mit aller Kraft
                widersetzte, als Scipio mit dem Heere nach Afrika übersetzen wollte, um
                den Krieg zu beenden. Er konnte sich also von seiner Denkart und
                Gewohnheit nicht losmachen und merkte nicht, daß die Zeiten sich

                geändert hatten und daß somit auch die Art der Kriegführung geändert
                werden mußte. Wäre es nach ihm gegangen, so stünde Hannibal noch in
                Italien, und wäre Fabius König von Rom gewesen, so wäre der Krieg
                leicht unglücklich ausgegangen, weil er sein Verfahren nicht nach
                Maßgabe der veränderten Zeiten zu ändern verstand. Da er aber in einer
                Republik geboren war, wo es verschiedene Bürger und Charaktere gab,
                so hatte sie für die Zeiten, wo das bloße Aushalten des Krieges das beste

                war, einen Fabius und später für die Zeiten, wo er siegreich beendigt
                werden sollte, einen Scipio.





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