Page 976 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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sein Lager aber in der Nähe der Römer bezogen hatte, mußte er fliehen.
                Nachdem ihn diese Erfahrung gelehrt hatte, daß es zur Vermeidung einer
                Schlacht nicht hinreicht, auf einem Berge zu stehen, griff er, da er sich

                nicht in eine Stadt einschließen wollte, zu dem andern Mittel, viele
                Meilen vom römischen Lager entfernt zu bleiben. Waren daher die
                Römer in einer Gegend, so zog er in eine andre und ging immer dorthin,
                wo die Römer abzogen. Schließlich sah er ein, daß er durch diese Art
                von Kriegsverlängerung nur seine Lage verschlimmerte und daß seine
                Untertanen bald von ihm, bald vom Feinde bedrückt wurden. So
                entschloß er sich, das Kriegsglück zu wagen, und lieferte den Römern

                eine richtige Schlacht. Die Niederlage bei Kynoskephalä, 197 v. Chr.
                     Es ist also nützlich, nicht zu kämpfen, wenn die Heere in der
                gleichen Verfassung sind, wie das des Fabius und des Gajus Sulpicius,
                d. h. wenn du ein so gutes Heer hast, daß der Feind dich in deinen
                Verschanzungen nicht anzugreifen wagt, und wenn er in deinem Lande
                nur schwach Fuß gefaßt hat, so daß er Mangel an Unterhalt leidet. In

                diesem Fall ist die Maßregel vorteilhaft, wie Livius es mit den obigen
                Worten begründet: nolens se fortunae committere adversus
                hostem, quem tempus deteriorem in dies et locus alienus
                faceret. In jedem andern Fall aber läßt sich die Schlacht nur mit
                Schande und Gefahr vermeiden. Denn fliehen, wie Philipp, ist so gut wie
                geschlagen werden, ja es ist um so schimpflicher, als man keinen Beweis
                seiner Tapferkeit geliefert hat. Gelang es Philipp aber auch, sich zu
                retten, so würde es doch keinem andern gelingen, wenn ihm nicht die
                Beschaffenheit der Gegend so zu Hilfe käme wie ihm.
                     Niemand wird leugnen, daß Hannibal ein Meister der Kriegskunst

                war. Hätte er, als ihm Scipio in Afrika gegenüberstand, einen Vorteil in
                der Verlängerung des Krieges gesehen, so hätte er sicher danach
                gehandelt. Als guter Feldherr mit einem tüchtigen Heer hätte er es
                vielleicht so machen können wie Fabius in Italien; da er es aber nicht tat,
                muß man annehmen, daß er gewichtige Gründe dazu hatte. Denn ein
                Fürst, der ein Heer zusammengebracht hat und einsieht, daß er es aus

                Mangel an Geld oder Bundesgenossen nicht lange beisammenhalten
                kann, ist völlig von Sinnen, wenn er das Glück nicht versucht, bevor ihm
                sein Heer auseinanderläuft. Denn wartet er, so ist er sicher verloren;
                versucht er das Glück, so kann er immer noch siegen. Noch etwas ist hier
                stark in Anschlag zu bringen: auch wenn man unterliegt, soll man Ehre
                einzulegen suchen, und es ist zweifellos ehrenvoller, mit den Waffen
                besiegt zu werden, als den Krieg durch irgendeinen andern Mißstand zu

                verlieren. Diese Notwendigkeiten müssen Hannibal wohl also zur





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