Page 981 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zukunft tun. Wer daher die Nachbarn von Florenz und Venedig
                betrachtet, wird sich nicht, wie viele, wundern, daß Florenz für seine
                Kriege mehr ausgegeben und doch weniger erobert hat als Venedig. Das

                kommt bloß daher, daß die Nachbarstädte Venedigs sich nicht so
                hartnäckig verteidigten wie die von Florenz, weil alle gewohnt waren,
                unter einem Fürsten und nicht frei zu leben. Wer aber zu dienen gewohnt
                ist, macht sich oft wenig daraus, den Herrn zu wechseln, ja, häufig
                wünscht er es sogar. Obwohl also Venedigs Nachbarn mächtiger waren
                als die von Florenz, konnte es sie doch schneller unterwerfen als Florenz,
                das von freien Städten umgeben war.

                     Greift also ein Feldherr, um auf das vorhin Gesagte
                zurückzukommen, eine Stadt an, so muß er sich auf alle Weise bemühen,
                sie der Notwendigkeit der Verteidigung zu entheben, und damit ihre
                Hartnäckigkeit brechen. Fürchtet sie Strafe, so verspreche er Verzeihung;
                fürchtet sie für ihre Freiheit, so sage er, daß er nichts gegen das
                allgemeine Wohl plane, sondern nur gegen den Ehrgeiz einiger Bürger.

                Das hat manche Unternehmung und Städteeroberung erleichtert. Obwohl
                solche Vorwände besonders von klugen Männern leicht durchschaut
                werden, lassen sich die Völker doch häufig dadurch täuschen, da sie
                nach dem augenblicklichen Frieden lechzen und die Augen vor jeder,
                unter großen Versprechungen gelegten Schlinge verschließen. Durch
                diesen Kunstgriff wurden zahllose Städte unterworfen, auch Florenz in
                der letzten Zeit. S. Lebenslauf, 1512. Die Liga hatte Florenz die

                Bedingung gestellt, daß die Medici als einfache Bürger, die unter den
                Gesetzen lebten, zurückkehren sollten, was natürlich nicht gehalten
                wurde. Ebenso erging es dem Crassus und seinem Heere. Obschon er die
                leeren Versprechungen der Parther durchschaute, die nur den Zweck
                hatten, seinen Soldaten den Gedanken an die Notwendigkeit der
                Verteidigung auszutreiben, konnte er sie doch nicht standhaft erhalten, da

                sie durch die Friedensangebote der Feinde verblendet waren, wie man es
                ausführlich in seiner Lebensgeschichte findet. Plutarch, Crassus, 30. Die
                Samniter waren, den Vertragsbedingungen zuwider, auf Anstiften einiger
                Ehrgeiziger in das Gebiet der römischen Bundesgenossen eingebrochen
                und hatten geplündert, dann aber Gesandte nach Rom geschickt, um um
                Frieden zu bitten, und sich erboten, die Beute zurückzugeben und die
                Urheber der Unruhen auszuliefern. Da die Römer darauf nicht eingingen

                und die Gesandten ohne Hoffnung auf einen Vergleich nach Samnium
                zurückkehrten, hielt Claudius Pontius, der damalige Anführer des
                samnitischen Heeres, eine denkwürdige Rede, worin er den Soldaten
                bewies, daß Rom durchaus Krieg wollte. Obwohl sie selbst Frieden





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