Page 978 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Elftes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Wer mit mehreren Gegnern zu tun hat, trägt, auch wenn er der
Schwächere ist, den Sieg davon, wenn er nur den ersten Angriff
aushält.
Die Macht der Volkstribunen war in Rom groß und notwendig, wie wir
mehrfach erörtert haben. Denn anders ließ sich dem Ehrgeiz des Adels
kein Zügel anlegen, und er hätte dann die Republik viel früher
verdorben, als es wirklich der Fall war. Da aber, wie schon früher gesagt,
S. Seite 21, Abs. 2. in jeder Sache ein eignes Übel verborgen liegt, das
neue Wirkungen zeitigt, muß man diesen durch neue Einrichtungen
vorbeugen. So wurden auch die Tribunen übermütig und dem Adel und
ganz Rom furchtbar, und dies hätte schlimme Folgen für die Freiheit
gehabt, hätte Appius Claudius nicht gezeigt, wie man sich gegen den
Übermut der Tribunen schützen könne. Man fand nämlich immer einen
darunter, der furchtsam oder bestechlich oder ein Freund des
allgemeinen Wohls war, und wußte ihn zu bestimmen, sich den andern
Tribunen zu widersetzen, wenn sie einen Beschluß gegen den Willen des
Senats durchsetzen wollten. Dies Mittel mäßigte ihre große Gewalt
erheblich und half Rom lange Zeit.
Dieser Umstand hat mich auf den folgenden Gedanken gebracht.
Jedesmal, wenn viele Mächte sich gegen einen verbünden und alle
zusammen stärker sind als er, muß man doch mehr auf den einen,
weniger Starken vertrauen, als auf die vielen, auch wenn sie die Stärkern
sind. Denn ganz abgesehen von allem, wodurch ein Einzelner im Vorteil
ist, und das ist mancherlei, wird es ihm bei einiger Geschicklichkeit doch
immer gelingen, die Vielen zu entzweien und den starken Körper zu
schwächen. Ich will hierfür keine alten Beispiele anführen, deren es sehr
viele gibt, sondern mich mit den zeitgenössischen begnügen.
Im Jahre 1484 verband sich ganz Italien gegen die Venezianer. S.
Lebenslauf, 1484. Als sie völlig geschlagen waren und kein Heer mehr
ins Feld stellen konnten, bestachen sie den Herzog von Mailand,
Lodovico Sforza, und schlossen durch diese Bestechung einen so
günstigen Frieden, daß sie nicht nur ihre verlorenen Städte
zurückerhielten, sondern noch einen Teil des Herzogtums Ferrara an sich
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