Page 1034 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vierunddreißigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                Welcher Ruf, welche Stimme oder Meinung das Volk bestimmt, seine
                     Gunst einem Bürger zuzuwenden, und ob es die Ämter klüger
                                               verteilt als ein Fürst.


                Wir haben früher erzählt, S. Buch I, Kap. 11. wie Titus Manlius, später
                Torquatus genannt, seinen Vater Lucius von einer Anklage befreite, die
                der Volkstribun Marcus Pomponius gegen ihn erhoben hatte. Obschon

                diese Art ziemlich gewalttätig und ungesetzlich war, so gefiel doch die
                kindliche Liebe zum Vater dem Volke so gut, daß er nicht nur nicht zur
                Rede gestellt wurde, sondern bei der nächsten Wahl der Kriegstribunen
                die zweite Stelle erhielt. Angesichts dieses Vorfalls scheint es mir der
                Untersuchung wert, wie das Volk die Menschen bei der Erteilung von

                Ämtern beurteilt und ob sich der obige Satz als wahr erweist, daß das
                Volk die Ämter besser verteilt als ein Fürst.
                     Das Volk richtet sich bei seiner Wahl nach der öffentlichen Meinung
                und dem Ruf eines Mannes, wenn es ihn nicht schon aus seinen Taten
                kennt oder eine Mutmaßung oder Meinung von ihm hat. Beides aber
                kommt entweder von den Vätern her, die bedeutende und einflußreiche
                Leute waren, weil man bis zum Beweis des Gegenteils glaubt, die Söhne

                würden den Vätern entsprechen. Oder es rührt von dem persönlichen
                Benehmen des Mannes her, um den es sich handelt. Das beste Benehmen
                ist der Umgang mit gesetzten, gesitteten und von jedermann für weise
                gehaltenen Männern. Und da es kein besseres Zeichen für die Sinnesart
                eines Menschen gibt als die Gesellschaft, mit der er verkehrt, so erwirbt
                sich ein Mann, der gute Gesellschaft hat, mit Recht einen guten Namen,

                weil er notwendig einige Ähnlichkeit mit ihr haben muß. Drittens erwirbt
                man sich diesen öffentlichen Ruf durch eine außerordentliche
                denkwürdige Handlung, auch eine Privathandlung, mit der man Ehre
                einlegt.
                     Von all diesen drei Dingen, die zu Anfang einen guten Ruf geben, ist
                das letzte das wirksamste. Das erste, Herkunft und Väter, ist so
                trügerisch, daß die Menschen sehr vorsichtig damit umgehen, und es

                verschwindet auch bald, wenn die eignen Verdienste des Betreffenden
                nicht hinzukommen. Das zweite, der Umgang, ist besser als das erste,





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