Page 1036 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 1036
ihrer Großmut, Freigebigkeit oder Gerechtigkeit zeugt und sozusagen
zum Sprichwort bei ihren Untertanen wird.
Kehren wir jedoch zum Anfang unsrer Erörterung zurück. Gibt das
Volk aus den drei genannten Gründen einem seiner Bürger das erste
Amt, so tut es nicht übel daran. Wird dann aber ein Mann durch
zahlreiche gute Handlungen bekannter, so fährt es besser dabei, denn in
diesem Falle kann es sich fast niemals täuschen. Ich rede aber nur von
den Ämtern, die man anfangs an Leute erteilt, die man noch nicht aus
sicherer Erfahrung kennt, oder die von einer Tätigkeit zu einer ganz
unähnlichen übergehen. Und da irrt das Volk in seiner Meinung seltner
und läßt sich weit schwerer durch irgendein Mittel bestechen als ein
Fürst. Immerhin ist es möglich, daß ein Volk den Ruf, die Gesinnung und
die Taten eines Mannes überschätzt, was einem Fürsten nicht begegnen
kann, da seine Ratgeber es ihm sagen und ihn davor warnen würden.
Damit es nun auch dem Volke an einem solchen Rat nicht fehlt, haben
kluge Gesetzgeber der Republiken bestimmt, daß es bei Vergebung der
höchsten Staatsämter, deren Besetzung durch unfähige Leute gefährlich
wäre, jedem Bürger freisteht, ja ihm zur Ehre angerechnet wird, auf die
Fehler solcher Leute, wenn der Volkswille sich auf ihre Wahl richtet, in
öffentlicher Versammlung hinzuweisen, damit das Volk sie kennenlernt
und besser urteilen kann. Daß dies in Rom Brauch war, bezeugt die
Rede, die Fabius Maximus im zweiten punischen Krieg an das Volk
hielt, als sich bei der Wahl der Konsuln die Gunst dem Titus Otacilius
Livius XXIV, 7 ff. zuwandte. Fabius hielt ihn für unfähig, in solchen
Zeiten das Konsulat zu führen, sprach gegen ihn und wies seine
Unfähigkeit nach, so daß er ihm das Amt entzog und die Volksgunst auf
einen andern lenkte, der sie besser verdiente. Die Völker urteilen also bei
der Wahl der Behörden nach den wahrscheinlichsten Merkmalen, die
man von Menschen haben kann. Wenn sie wie die Fürsten beraten
werden können, irren sie weniger als diese, und ein Bürger, der die
Volksgunst erlangen will, muß dies durch eine bemerkenswerte Tat tun,
wie Manlius.
1035