Page 1041 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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hatten sie nichts mehr, worauf sie sich verlassen konnten, und sie zogen
                den kürzeren, weil die geregelte Tapferkeit fehlte. Die Römer dagegen,
                die sich wegen ihrer guten Einrichtungen weniger vor Gefahren

                fürchteten und am Siege nicht zweifelten, fochten standhaft und
                hartnäckig mit demselben Mut und derselben Tapferkeit von Anfang bis
                zu Ende, ja durch die Schlacht nahm ihr Feuer noch zu.
                     Die dritte Gattung von Heeren ist die, bei denen weder natürlicher
                Mut noch künstliche Ordnung herrscht, wie bei unsern jetzigen
                italienischen Heeren. Sie sind ganz unnütz, und wenn sie nicht auf ein
                Heer stoßen, das durch irgendeinen Zufall die Flucht ergreift, siegen sie

                niemals. Man braucht hierfür kein besonderes Beispiel anzuführen, denn
                sie liefern täglich den Beweis, daß kein Funke von Tapferkeit in ihnen
                ist.
                     Damit nun jeder aus dem Zeugnis des Livius VIII, 34. Vgl. Buch I,
                Kap. 31. erfährt, wie ein gutes Heer beschaffen sein soll und wie ein
                schlechtes ist, will ich die Worte des Papirius Cursor anführen, als er den

                Reiterobersten Fabius bestrafen wollte. Nemo hominum, nemo Deorum
                verecundiam habeat; non edicta imperatorum, non auspicia
                observentur; sine commeatu vagi milites in pacato, in hostico
                errent; immemores sacrimenti, licentia sola se, ubi velint,
                exauctorent; infrequentia deserantur signa, neque conveniant
                ad edictum, nec discernant interdiu, nocte, aequo iniquo
                loco, iussu, iniussu imperatoris pugnent, et non signa, non
                ordines servent; latrocinii modo, caeca et fortuita, pro
                solemni et sacrata militia sit. (Niemand habe mehr vor
                Menschen noch vor Göttern Scheu. Man kehre sich nicht mehr an die
                Befehle der Feldherren und an die Auspizien. Die Soldaten streiften ohne
                Urlaub in Freundes- und Feindesland umher, sie nähmen, ihres Eides
                vergessend, bloß nach ihrem Gutdünken den Abschied, verließen die
                Fahnen, versammelten sich nicht auf Befehl, machten keinen
                Unterschied, ob sie an einem günstigen oder ungünstigen Ort, auf Befehl

                oder ohne Befehl des Feldherrn kämpften, und blieben nicht bei den
                Fahnen, noch in Reih und Glied, so daß man nur eine Räuberbande, eine
                blinde, dem Zufall preisgegebene Rotte, statt eines ernsten und heiligen
                Heeres habe.) Aus diesen Worten läßt sich leicht schließen, ob die Heere
                unsrer Zeit blind und dem Zufall preisgegeben oder ernst und heilig sind,
                wieviel ihnen von dem fehlt, was man ein Heer nennen kann, und wie

                weit sie davon entfernt sind, kühn und geordnet wie die römischen oder
                kühn wie die französischen zu sein. In seiner Abhandlung »Der
                politische Zustand Frankreichs« (Ritratti delle cose di Francia, um 1510)








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