Page 1044 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 1044
gefochten hatten. Livius VII, 32 (343 v. Chr.). Der Konsul hieß Marcus
Valerius Corvus. sagt daher, Valerius habe sie erst ein paar kleine
Gefechte mit den Samnitern liefern lassen, ne eos novum bellum
novusque hostis terreret. (Damit sie der neue Krieg und der neue
Feind nicht schrecke.) Gleichwohl ist die Gefahr sehr groß, daß deine
Soldaten, wenn sie in diesen Gefechten den kürzeren ziehen, noch feiger
und furchtsamer werden, daß du also das Gegenteil von dem erreichst,
was du wolltest, und sie entmutigst, wo du ihnen Zuversicht einflößen
wolltest. Dies ist also eins von den Dingen, wo das Übel so nahe beim
Guten liegt und beide so eng verwandt sind, daß man leicht in das eine
gerät, wenn man das andre zu erreichen glaubt.
Nach meiner Meinung muß ein guter Feldherr mit allem Fleiß darauf
sehen, daß sich nichts ereignet, was seinem Heere irgendwie den Mut
rauben kann, und dazu gehört es, wenn es anfangs den kürzeren zieht.
Darum muß er sich vor kleinen Gefechten hüten und sie nur dann
erlauben, wenn er durchaus im Vorteil ist und die feste Hoffnung auf
Sieg hat. Er darf keine Pässe besetzen, wenn er nicht sein ganzes Heer
verwenden kann, darf nur die Städte decken, deren Verlust seinen
Untergang herbeiführen müßte, und bei den Städten, die er besetzt hält,
muß er es mit den Besatzungen und seinem Heere so einrichten, daß er,
wenn der Feind sie nehmen will, sein ganzes Heer dagegen verwenden
kann; alle übrigen Plätze muß er unverteidigt lassen. Denn verliert man
etwas, das man selbst preisgibt, und das Heer ist noch beisammen, so
verliert man weder den kriegerischen Ruf noch die Hoffnung auf Sieg.
Verliert man aber etwas, das man verteidigen wollte und von dem
jedermann glaubt, daß man es verteidigen wird, dann ist der Schaden
verderblich, und man hat, ungefähr wie die Gallier, durch einen
geringfügigen Umstand den ganzen Krieg verloren.
Als Philipp von Mazedonien, der Vater des Perseus, Philipp III. S.
139, Anm. 9. ein Kriegsmann und einer der ersten Machthaber seiner
Zeit, von den Römern angegriffen wurde, verließ und verheerte er einen
großen Teil seines Landes, den er nicht verteidigen zu können glaubte.
Als kluger Mann hielt er es für verderblicher, seinen Ruf durch den
Verlust dessen zu verlieren, was er zu verteidigen unternommen, als
wenn er diese Gebiete dem Feinde gleich preisgab, als ob ihm nichts
daran läge. Als die Sache der Römer nach der Schlacht bei Cannae sehr
schlecht stand, schlugen sie vielen ihrer Schutzbefohlenen und
Untertanen allen Beistand ab und überließen es ihnen, sich so gut wie
möglich zu verteidigen. Solche Maßregeln sind viel besser, als eine
Verteidigung zu übernehmen und sie dann nicht auszuführen; denn in
1043