Page 1048 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neununddreißigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                                Ein Feldherr muß Geländekenntnis besitzen.


                Zu den für einen Heerführer notwendigen Dingen gehört auch die
                Kenntnis der Gegenden und Länder. Ohne diese allgemeine und
                besondere Kenntnis kann kein Heerführer etwas Ordentliches leisten.
                Wenn aber alle Wissenschaften Übung verlangen, um sie vollkommen zu
                beherrschen, so erfordert diese die allergrößte. Diese Fertigkeit, oder

                vielmehr diese besondere Kenntnis erlangt man durch die Jagd besser als
                durch irgendeine andere Beschäftigung. Darum sagen die alten
                Schriftsteller, daß die Helden, die zu ihrer Zeit die Welt beherrschten, in
                Wäldern und auf der Jagd heranwuchsen; denn die Jagd lehrt außer
                dieser Kenntnis noch eine Menge andrer, zum Kriege notwendiger

                Dinge. Xenophon erzählt in seinem Leben des Kyros: S. Buch II, Kap.
                13, Anm. 71. Als Kyros den König von Armenien angriff und seine
                Anordnungen zur Schlacht traf, machte er seinen Leuten klar, daß dies
                nichts andres sei als eine der Jagden, die sie so oft mit ihm angestellt
                hätten. Die zum Hinterhalt im Gebirge Bestimmten erinnerte er daran,
                daß sie den Jägern entsprächen, die in den Schluchten die Netze
                spannten, und die, welche durch die Ebene streiften, verglich er mit den

                Treibern, die das Wild aus seinen Lagern aufscheuchten und es in die
                Netze jagten. Dies zum Beweis, daß die Jagd nach Xenophons Wort ein
                Bild des Krieges ist. Sie ist daher für große Männer ehrenvoll und
                notwendig. Auch kann man sich die Kenntnis des Geländes nicht
                bequemer erwerben als durch die Jagd; denn man lernt dadurch die
                besondre Beschaffenheit der Gegend kennen, in der man jagt. Hat man

                sich aber mit einer Gegend recht vertraut gemacht, so findet man sich
                leicht in neuen Ländern zurecht, denn alle Länder und Gegenden haben
                eine gewisse Gleichförmigkeit, so daß man von der Kenntnis des einen
                leicht zu der des andern gelangt. Wer aber das eine noch nicht recht
                kannte, wird nur schwer und erst mit der Zeit ein andres kennenlernen.
                Wer jedoch diese Fertigkeit besitzt, übersieht mit einem Blick, wie eine
                Ebene liegt, wie ein Berg ansteigt, wohin ein Tal mündet und dergleichen

                mehr, wovon er sich schon vorher eine sichere Kenntnis erworben hat.







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