Page 1051 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Einundvierzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                    Man soll das Vaterland verteidigen, einerlei, ob mit Ruhm oder
                                    Schande; es wird immer gut verteidigt.


                Der Konsul war also mit dem Heer von den Samnitern eingeschlossen,
                und diese stellten den Römern die schimpflichsten Bedingungen. Sie
                sollten durchs Joch ziehen und entwaffnet nach Rom zurückgeschickt
                werden. Die Konsuln waren wie vom Donner gerührt und das ganze

                Heer in Verzweiflung. Da sagte der Legat Lucius Lentulus, Livius IX, 4.
                ihm schiene jede Maßregel zur Rettung des Vaterlandes recht. Roms
                Leben hinge vom Leben dieses Heeres ab, man müsse es also auf jede
                Weise retten. Man verteidige das Vaterland immer gut, einerlei ob mit
                Schande oder Ruhm. Denn werde das Heer gerettet, so habe Rom Zeit,

                die Schmach auszulöschen. Geschähe es nicht und stürbe man auch auf
                das ruhmvollste, so sei es um Rom und seine Freiheit geschehen. Sein
                Rat wurde befolgt.
                     Dies Beispiel verdient die Beachtung und Nachahmung jedes
                Bürgers, der seinem Vaterlande zu raten hat. Wo es um das Sein oder
                Nichtsein des Vaterlandes geht, gibt es kein Bedenken, ob gerecht oder
                ungerecht, mild oder grausam, löblich oder schimpflich. Man muß

                vielmehr alles beiseite setzen und die Maßregel ergreifen, die ihm das
                Leben rettet und die Freiheit erhält. Das befolgen die Franzosen in Wort
                und Tat, um die Majestät ihres Königs und die Macht ihres Reiches zu
                schützen. Kein Wort hören sie ungeduldiger an, als wenn man sagt:
                »Diese Maßregel ist schimpflich für den König.« Kein Beschluß, sagen
                sie, könne ihrem König Schande bereiten, weder im Glück noch im

                Unglück, denn mag er siegen oder unterliegen, es heißt doch immer: er
                handelt als König.




















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