Page 1050 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vierzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                                         Betrug ist im Kriege ruhmvoll.


                Betrug ist überall schändlich, nur im Kriege ist er löblich und ruhmvoll,
                und wer den Feind durch Betrug überwindet, wird ebenso gelobt, als wer
                ihn mit Stärke besiegt. Man sieht dies aus dem Urteil der Biographen
                Vgl. Kyropädie,I,6,27; Xenophon, Hipparchici, V,ll, und Thukydides
                V,9. großer Männer, die den Hannibal und andre rühmen, weil sie sich in

                diesem Verfahren besonders hervortaten. Da man hiervon Beispiele
                genug findet, will ich keins wiederholen. Nur das will ich sagen, daß ich
                nicht daran denke, jeden Betrug für ruhmvoll zu halten, den du durch
                Wort- und Vertragsbruch begehst. Das mag dir wohl manchmal zu Land
                und Herrschaft verhelfen, wird dir aber nie Ruhm bringen. Ich rede hier

                nur von dem Betrug, wodurch du den Feind, der dir nicht traut,
                hintergehst, und worauf eigentlich die Kriegskunst beruht. Das war die
                Kunst Hannibals. Am Trasimenischen See stellte er sich, als ob er fliehe,
                um den Konsul und das römische Heer zu umzingeln. Und um dem
                Fabius Maximus zu entgehen, ließ er die Hörner seines Viehs mit Reisig
                bepacken und dies anzünden. Bei Casilinum, 217 v. Chr. Ähnlich war die
                List des samnitischen Feldherrn Pontius, um das römische Heer in den

                caudinischien Engpaß einzuschließen. 321 v. Chr. Vgl. Livius IX, 1 ff. Er
                stellte sein Heer hinter den Bergen auf und ließ durch Soldaten in
                Hirtenkleidung Vieh durch die Ebene treiben. Als sie von den Römern
                gefangen und befragt wurden, wo das Heer der Samniter sei, sagten sie
                gemäß der von Pontius erhaltenen Weisung einstimmig aus, es belagere
                Nocera. Die Konsuln glaubten es und wagten sich in die caudinischien

                Engpässe, wo sie sofort von den Samnitern eingeschlossen wurden.
                Dieser durch List gewonnene Sieg wäre für Pontius höchst glorreich
                gewesen, hätte er den Rat seines Vaters befolgt, die Römer entweder frei
                ziehen zu lassen oder alle niederzuhauen, nicht aber den Mittelweg

                einzuschlagen, quae neque amicos parat, neque inimicos tollit.
                (Der weder Freunde erwirbt noch die Feinde beseitigt.) Dieser Weg war
                bei Staatsangelegenheiten stets verderblich, wie wir an andrer Stelle

                erörtert haben. S. Buch II, Kap. 23.







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