Page 1055 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vierundvierzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                      Mit Ungestüm und Kühnheit erreicht man oft, was man auf
                                  gewöhnlichem Wege nicht erreicht hätte.


                Als die Samniter vom römischen Heere angegriffen wurden und sich
                gegen die Römer nicht im Felde halten konnten, beschlossen sie,
                Besatzungen in ihre Städte zu legen und mit ihrem ganzen Heer nach
                Etrurien zu ziehen, das mit Rom Waffenstillstand geschlossen hatte.

                Durch den Einmarsch und die Anwesenheit ihres Heeres hofften sie die
                Etrusker zum Wiederergreifen der Waffen zu bewegen, was diese ihren
                Gesandten abgeschlagen hatten. In der Rede an die Etrusker, in der sie
                die Hauptgründe für ihre Schilderhebung darlegten, gebrauchten die

                Samniter eine merkwürdige Wendung: Rebellasse, quod pax
                servientibus gravior quam liberis bellum esset. Livius X, 16
                (296 v. Chr.) (Sie hätten sich erhoben, weil der Friede für Unterworfene
                härter sei als der Krieg für Freie.) So brachten sie sie teils durch
                Überredung, teils durch die Anwesenheit ihres Heeres zur Erneuerung
                des Kampfes.
                     Daraus ist zu lernen, daß ein Fürst, der von einem andern etwas
                erlangen will, ihm, wenn es die Umstände erlauben, keine Zeit zum

                Bedenken lassen darf und es so einrichten muß, daß der andre die
                Notwendigkeit eines schnellen Entschlusses einsieht und erkennt, daß er
                durch seine Weigerung den plötzlichen und gefährlichen Unwillen des
                Bittenden erregen würde. Dies Mittel wandte in unsern Tagen Papst
                Julius II. gegen die Franzosen und der französische Feldherr Gaston de
                Foix gegen den Markgrafen von Mantua sehr geschickt an.

                     Als Papst Julius die Bentivogli aus Bologna vertreiben wollte S.
                Lebenslauf, 1506. und dazu französische Truppen und die Neutralität
                Venedigs zu brauchen glaubte, auf sein Ansuchen aber von beiden eine
                ungewisse und doppelsinnige Antwort erhalten hatte, beschloß er, beide
                dadurch gefügig zu machen, daß er ihnen keine Bedenkzeit ließ. Er brach
                also mit allen Leuten, die er zusammenraffen konnte, von Rom auf,
                rückte gegen Bologna und ließ den Venezianern sagen, sie möchten

                neutral bleiben, und dem König von Frankreich, er möchte ihm Truppen
                senden. Da nun beide durch die Kürze der Zeit in die Enge getrieben





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