Page 1049 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Wie wahr dies ist, beweist Livius VII, 34 (343 v. Chr.) durch das
                Beispiel des Publius Decius, der Kriegstribun im Heere des Konsuls
                Cornelius gegen die Samniter war. Als der Konsul in ein Tal geraten war,

                wo das römische Heer von den Samnitern eingeschlossen werden konnte,
                und sich in großer Gefahr sah, sagte Decius zum Konsul: Videsne tu,
                Aule Corneli, cacumen illud supra hostem? Arx illa est spei
                salutisque nostrae, si eam, quoniam caeci reliquere Samnites,
                impigre capimus. (Siehst du, Aulus Cornelius, jenen Gipfel über dem
                Feinde? Er ist die Burg unsrer Hoffnung und Rettung, wenn wir ihn, da

                ihn die blinden Samniter unbesetzt ließen, rasch besetzen.) Vor diesen
                Worten des Decius sagte Livius: Publius Decius tribunus militum
                conspicit unum editum in saltu collem, imminentem hostium
                castris, aditu arduum impedito agmini, expeditis haud
                difficilem. (Der Kriegstribun Publius Decius hatte im Waldgebirge
                eine einzelne Anhöhe entdeckt, die das feindliche Lager beherrschte, und

                die für Truppen mit Gepäck schwer, für leichte Truppen aber nicht
                schwer zu erklimmen war.) Als er nun vom Konsul mit 3000 Mann
                dorthin abgeschickt war, das römische Heer gerettet hatte und beim
                Einbruch der Nacht abziehen wollte, um auch sich und seine Leute zu
                retten, läßt ihn Livius diese Worte sagen: Ite mecum, ut, dum lucis
                aliquid superest, quibus locis (hostes) praesidia ponant, qua
                pateat hinc exitus, exploremus. Haec omnia sagulo gregali
                amictus, ne ducem circumire hostes notarent, perlustravit.
                (Kommt mit mir, und solange wir noch etwas Tageslicht haben, laßt uns

                auskundschaften, wo die Feinde ihre Posten aufstellen und wo uns ein
                Ausweg offen bleibt. Dies alles stellte er fest, in einen Soldatenmantel
                gehüllt, damit die Feinde nicht merkten, daß der Anführer herumging.)
                     Wenn man diese ganze Stelle genau erwägt, so sieht man, wie
                nützlich und nötig für einen Feldherrn die Geländekenntnis ist. Hätte sie
                Decius nicht besessen und die Beschaffenheit der Gegend nicht erkannt,
                so hätte er nicht beurteilen können, wie nützlich für das römische Heer

                die Besetzung jenes Hügels war. Ebensowenig hätte er aus der Ferne
                wissen können, ob jener Hügel zugänglich war oder nicht. Als er dann
                oben war und wieder zum Konsul zurückkehren wollte, aber den Feind
                rings um sich hatte, hätte er von weitem nicht die Auswege und die vom
                Feinde besetzten Stellen erspähen können. Decius mußte also notwendig
                eine vollkommene Geländekenntnis besitzen; auf Grund davon besetzte

                er den Hügel, rettete das römische Heer und fand nachher, vom Feind
                eingeschlossen, den Weg zur Rettung für sich und die Seinen.










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