Page 1040 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Sechsunddreißigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Warum man von den Franzosen gesagt hat und noch sagt, sie seien
zu Beginn der Schlacht mehr als Männer und später weniger als
Weiber.
Die Kühnheit jenes Galliers, der am Anio jeden Römer herausforderte,
und der Zweikampf zwischen ihm und Titus Manlius erinnert mich an
etwas, was Livius Z. B. X, 28. mehrfach sagt: daß die Gallier im Anfang
der Schlacht mehr als Männer sind und in ihrem Verlauf weniger als
Weiber werden. Zur Erklärung dieser Tatsache sagen viele, das liege in
ihrer Natur, und das halte ich auch für wahr. Damit ist aber nicht gesagt,
daß diese Natur, die sie zu Anfang so mutig macht, durch Kunst nicht
dahin gebracht werden könnte, daß sie es bis zuletzt bleiben. Ich will
dies zu beweisen suchen.
Es gibt drei Arten von Heeren. Bei der ersten herrscht Kühnheit und
Ordnung zugleich, denn aus der Ordnung entspringt Kühnheit und
Tapferkeit. So war das römische Heer. Denn wie die Geschichte zeigt,
herrschte dort eine durch lange Kriegszucht gefestigte, gute Ordnung. In
einem wohlgeordneten Heere darf nichts ohne ausdrücklichen Befehl
geschehen; man findet daher, daß im römischen Heer, das die Welt
bezwang und das sich daher alle Heere zum Muster nehmen müssen,
ohne Befehl des Konsuls nicht gegessen, noch geschlafen, noch
eingekauft, noch irgendein häusliches oder kriegerisches Geschäft
verrichtet wurde. Heere, bei denen es anders zugeht, sind keine wahren
Heere; richten sie je etwas aus, so geschieht es durch blinde Wut und
Ungestüm, nicht durch Tapferkeit. Aber ein Heer, bei dem geregelte
Tapferkeit herrscht, braucht sein Feuer mit Maß und zu rechter Zeit;
keine Schwierigkeit macht es verzagt oder kleinmütig; denn die guten
Einrichtungen beleben seinen Mut und sein Feuer und nähren es mit
Siegeshoffnung, und diese verläßt es nie, solange seine Einrichtungen
erhalten bleiben.
Umgekehrt ist es bei den Heeren, wo blinde Wut, aber keine
Ordnung herrscht, wie es bei den Galliern der Fall war, die im Kampf
allemal unterlagen. Denn wenn ihnen der Sieg nicht beim ersten Anlauf
gelang und das Ungestüm, auf das sie sich verließen, verraucht war,
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