Page 416 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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der Welt walte. Antistenes sagt, es sey in der Natur ein göttliches Wesen,
                das den ganzen Inbegriff der Dinge lenke. Es wäre zu weitläuftig
                aufzuführen, was über den höchsten Gott schon früher Pythagoras,

                Thales und Anaximenes, oder später die Stoiker Kleanthes, Chrysippus
                und Zeno (und Tullius selbst) gesprochen haben: kurz, sie alle
                behaupteten von [Einem] Gott werde die Welt allein regiert. Hermes, der
                wegen seiner Vortrefflichkeit und der Kenntniß vieler Wissenschaften
                den Namen Trismegistus [der »Dreimalgrößte«] bekommen hat, dessen
                Lehre älter, als die aller Philosophen ist, und der bei den Aegyptern als
                ein Gott verehrt wird, preist die Majestät des einzigen Gottes mit dem

                erhabensten Lobe, und nennt ihn Herrn und Vater.«]
                     37. * * * doch wenn du willst, mein Lälius, so will ich dir Zeugen
                stellen, die weder zu alt sind, noch auf irgend eine Weise [als] Barbaren
                [verwerflich]. Lälius. Ja, solche wünschte ich. Scipio. Gut; du weißt
                doch, daß es noch keine volle 400 Jahre sind, seit diese Stadt keine

                Könige mehr hat      155 ? Lälius. Ja, nicht volle [400 Jahre]. Scipio. Nun, ist
                dieses Alter von 400 Jahren für eine Stadt oder einen Staat sehr groß?
                Lälius. Das ist kaum Zeit genug zum Heranreifen. Scipio. Also von jetzt
                an 400 Jahre rückwärts war zu Rom ein König. Lälius. Und zwar ein
                übermüthiger. Scipio. Und vor Diesem? Lälius. Ein höchst gerechter; und
                so immer nach der Reihe rückwärts bis auf den Romulus, der von jetzt an

                gerechnet vor 600 Jahren König war. Scipio. Also auch Der gehört noch
                nicht in's hohe Alterthum? Lälius. Nichts weniger; da ging ja
                Griechenland schon seinem Greisenalter entgegen. Scipio. So sage doch,
                war etwa Romulus ein König über Barbaren? Lälius. Freilich, wenn die
                Erklärung der Griechen gilt, welche sagen, alle Menschen seyen

                entweder Griechen, oder Barbaren,          156  so muß am Ende freilich
                Romulus ein Barbarenkönig gewesen seyn. Darf man aber diesen Namen
                in Hinsicht auf Gesittung ertheilen, nicht in Hinsicht auf die Sprache, so,
                glaube ich, sind die Griechen nicht weniger Barbaren gewesen, als die

                Römer.    157 . Für unsern Zweck fragen wir hier überhaupt nicht nach der
                Abstammung, sondern nach dem Geiste [eines Volkes]. Wenn also nicht
                nur verständige, sondern auch nicht gar zu weit der Zeit nach entlegene
                Menschen, Könige gerne hatten, so sind die Zeugen, deren ich mich

                bediene, weder zu alt, noch zu ungebildet und roh.
                     38. Lälius. Wie ich merke, Scipio, so bist du mit Zeugnissen wohl
                versehen. Doch bei mir gelten, wie bei einem guten Richter, Beweise
                mehr, als Zeugen. Nun, erwiederte Scipio, so laß denn, mein Lälius, dein
                eigenes Gefühl als Beweis gelten. Was für ein Gefühl? entgegnete Jener.






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