Page 414 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Standpunkt gewonnen, der das Gleichgewicht vollkommen erhält; und
                wenn diese den Staat lenken, so müssen die Völker höchst beglückt seyn,
                frei von aller Sorge und Störung ihrer Ruhe, da sie die Erhaltung ihrer

                Ungestörtheit Andern anvertraut haben, die darüber wachen müssen, und
                es nie dahin kommen lassen dürfen, daß das Volk denkt, sein Wohl
                werde von den Staatshäuptern vernachlässigt. Denn einerseits läßt sich
                [vollständige] Rechtsgleichheit, welche freie Völker [als ihr Liebstes]
                umfassen, gar nicht erhalten: denn die Völker selbst, so unbändig und
                zügellos sie sind, geben doch vorzugsweise Manchen Vieles in die
                Hände, und sie selbst machen einen großen Unterschied unter den

                Leuten und dem Range, [den sie ihnen zugestehen], andererseits ist die
                [wirkliche, vollkommene] Gleichheit der höchste Grad von Ungleichheit
                [Unbilligkeit]. Denn wird den Werthvollesten und Werthlosesten (und
                dergleichen gibt es nothwendig in jedem Volke) gleiche Ehre erwiesen,

                so wird die Gleichheit selbst ganz ungleich:          148  ein Fall, der sich in den
                Staaten, die von den Besten geleitet werden, nicht ereignen kann. Das
                ungefähr, mein Lälius, und einiges Aehnliche der Art, pflegen
                Diejenigen vorzubringen, die diese Form der Staatsverfassung
                vorzüglich empfehlen.
                     35. Nun, sprach Lälius, so sprich denn, Scipio, welcher von jenen
                drei Formen gibst du denn den Vorzug? Scipio. Du thust wohl daran, daß

                du fragst, welcher von den dreien: denn einzeln und für sich gefällt mir
                keine vollkommen, und jeder von den dreien ziehe ich die vor, die aus
                allen in Eine verschmolzen ist. Soll ich aber durchaus eine, und eine
                einfache vorziehen, so möchte ich die königliche gut heißen, und vor
                allen ihr Beifall geben. Bei Nennung dieser ersten Form tritt uns gleich

                der, so zu sagen, väterliche Name eines Königs entgegen, der für seine
                Bürger, wie für seine Kinder, sorgt, und mit mehr Eifer auf ihre
                Erhaltung. als auf ihre Unterjochung, bedacht ist;          149  so daß es doch
                wohl ersprießlicher erscheinen muß, daß die an Vermögen und
                Einsichten Geringern in der sorgfältigen Umsicht Eines Mannes, der der

                Höchste und Beste zugleich ist, ihre Stütze finden. Dagegen treten die
                Optimaten auf, und sagen, sie verstehen eben Das besser zu thun, und
                behaupten, Mehrere werden doch besser Rath zu schaffen wissen, als
                Einer, bei gleicher billigen und rechtlichen Gesinnung. Da ruft aber mit
                laut erhobener Stimme das Volk darein: weder Einem wolle es
                gehorchen, noch Wenigen: sey doch selbst den wilden Thieren Nichts

                süßer als die Freiheit; diese aber fehle Allen, die, sey es einem Könige
                oder den Optimaten, dienen. So spricht uns das Königthum durch die
                Herzlichkeit [des Verhältnisses des Regierenden zu den Regierten] an,




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