Page 413 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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34. * * * wenn [der Staat] es auf den Zufall ankommen läßt, so wird er
eben so schnell [umstürzen], als ein Schiff umschlägt, wenn von der
Schiffsmannschaft ein durch's Loos Gezogener an das Steuerruder tritt.
Ja, wenn das Volk ohne allen Zwang Diejenigen wählen darf, denen es
sich anvertrauen will; und es wird sicher, wenn ihm nur sein eigenes
Wohl nicht gleichgültig ist, immer nur die Besten auswählen; dann
freilich beruht das Wohl der Staatsbürger auf der Einsicht der Besten:
zumal, da es eine Einrichtung der Natur ist, nicht blos, daß die an
Tüchtigkeit am höchsten Stehenden über die Schwächern gestellt sind,
sondern daß auch Diese sich gerne den Ueberlegenen unterwerfen. 145
Aber, sagt man, dieser allerdings beste Zustand ist durch heillose
Vorurtheile der Menschen zerstört worden, die aus Unkenntniß der
wahren Tüchtigkeit [Tugend], die sich theils bei Wenigen findet, theils
nur an Wenigen erkannt und entdeckt wird, die Begüterten und Reichen,
dann auch die von vornehmem Stamme Entsprossenen für die Besten
halten. Seitdem nun durch diesen Mißverstand des großen Haufens die
Geldmacht Weniger, nicht die wahren Vorzüge, im Staate den Meister zu
spielen angefangen hat, wollen sich jene Staatshäupter den Namen
Optimaten durchaus nicht mehr nehmen lassen, so wenig er ihnen
wirklich zukommt. Denn Reichthum, Name, Geldmacht, ohne Einsicht
und Maß im Leben und Gebieten über Andere, bringen nur gehäufte
Schande und hochmüthige Anmaßung hervor, und keine Staatsform
gewährt einen widerlichern Anblick, als die, in der die Begütertsten für
die Besten gelten. 146 Wenn aber die Tüchtigkeit das Steuerruder des
Staats führt, läßt sich dann etwas Trefflicheres denken? wenn Der, der
Andern gebietet, selbst keiner Begierde fröhnt, wenn er Alles, wozu er
die Bürger gewöhnen will und anhält, an sich selbst und in seinem Leben
darstellt, und nicht dem Volke Gesetze aufbürdet, denen er selbst nicht
gehorcht, sondern seinen Wandel, wie ein Gesetz, seinen Mitbürgern
vorhält. Wäre es möglich, daß Einer Alles vollkommen in sich
vereinigte, so bedürfte man nicht Mehrerer; vermöchte die gesammte
Masse das Beste zu erkennen und sich darin übereinstimmend zu
verstehen, so würde Niemand ausgewählte Staatshäupter verlangen. Die
Schwierigkeit, Rath zu schaffen, hat die Leitung des Staats von der
Einheit des Königthums zu einer Mehrheit [der Beirathenden] gebracht;
der Mißverstand und die blinde Leidenschaft der Völker hat sie aus den
Händen der Menge in die weniger [Machthaber] gespielt. 147 So haben
denn zwischen der unzureichenden Kraft des Einen, und der blinden
Leidenschaftlichkeit der Menge, sich die Optimaten in der Mitte einen
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